Düsseldorf, Gütersloh (epd). Nach der Infektion von mehr als 800 Schlachthof-Mitarbeitern mit dem Corona-Virus im Landkreis Gütersloh schließt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) einen "flächendeckenden Lockdown in der Region" nicht aus, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Das Infektionsgeschehen sei "in dieser Größenordnung neu" und berge ein enormes Pandemie-Risiko, sagte Laschet am Freitagabend in Düsseldorf. Wegen der Vorgänge ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft Bielefeld wegen des Anfangsverdachts der fahrlässigen Körperverletzung und des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz.
"Wir mobilisieren alle Kräfte, um das Infektionsgeschehen einzudämmen", versprach Laschet angesichts der dramatischen Zahlen: Bis Freitagnachmittag wurde nach seinen Worten bei 803 von 1.106 getesteten Arbeitern das Corona-Virus festgestellt, weitere 5.000 Beschäftigte sollen nun auch mit Hilfe der Bundeswehr so schnell wie möglich getestet werden. Tausende Menschen in der Region sind in Quarantäne, Kitas und Schulen im Kreis Gütersloh sind geschlossen. Besonders kritisch bewertet Laschet die "breite Streuung der Wohnorte" der Schlachthof-Beschäftigten in den Kreisen Gütersloh, Warendorf und Soest sowie den Städten Bielefeld und Hamm.
Der Kreis Gütersloh stellte am Freitag alle Beschäftigten der Unternehmensgruppe Tönnies am Standort Rheda-Wiedenbrück einschließlich der Verwaltung, des Managements und der Konzernspitze unter Quarantäne. Diese Regelung gelte auch für sämtliche Haushaltsangehörige der Schlachthof-Beschäftigten, erklärte Landrat Sven-Georg Adenauer. Nach der Schließung des Schlachthofs werden weitere Betriebsteile in den nächsten Tagen dichtgemacht.
Die NRW-Landesregierung bildet einen gemeinsamen Krisenausschuss mit den Bezirksregierungen Detmold, Arnsberg, und Münster und kommt am Sonntag zu einer Sondersitzung zusammen. Laschet kündigte an, die Infektionsketten würden mit zusätzlichem Personal intensiv nachverfolgt und die Einhaltung der Quarantäne werde mit allen Mitteln durchgesetzt.
Es müsse auch geklärt werden, ob es beim Unternehmen Tönnies Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung, das Infektionsschutzgesetz oder Arbeitsschutzbedingungen gegeben habe. Die Landesregierung unterstütze das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigte Arbeitsschutzprogramm für die Fleischwirtschaft, betonte Laschet. Nötig seien höhere Bußgelder, bessere Kontrollmöglichkeiten in Unterkünften der Beschäftigten, eine digitale Zeiterfassung und ein Verbot von Werkverträgen. Bei einem solchen Verbot könnten Betriebe wie Tönnies die Verantwortung für die Arbeitsbedingungen und Unterbringung von Arbeitern nicht länger auf Subunternehmer abwälzen.
Der Staatsanwaltschaft Bielefeld lagen bis Freitagmittag fünf Strafanzeigen vor, darunter eine von Britta Haßelmann, der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag. Sie sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), der große Corona-Ausbruch lasse "sich nur durch eine massive Nicht-Einhaltung von Arbeitsschutzstandards, Arbeitsbedingungen sowie eine unverantwortlichen Wohn-, Unterbringungs- und Transportsituation" erklären. "Die Zustände in den Schlachtfabriken sind unhaltbar", betonte die Grünen-Politikerin. Die Tönnies-Werke in Rheda-Wiedenbrück seien kein Einzelfall.
NRW-Verbraucherschutzministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) kündigte für den Herbst eine Bundesratsinitiative an, um zu niedrige Preise für Fleisch zu unterbinden. "Wir müssen die gesamte Kette vom Stall bis zum Teller in den Blick nehmen", sagte sie dem epd. "Es gibt haarsträubende Sonderaktionen, bei denen Fleisch deutlich unter seinem Wert verkauft wird. Das müssen wir stoppen." Nötig sei eine klare Definition des Einstandspreises.