Lübcke-Prozess: Angeklagter weint bei Geständnis-Video
Im Frankfurter Prozess um den Lübcke-Mord ist am Donnerstag das erste Beweismittel gesichtet worden. Die Video-Vorführung des ersten, vom Angeklagten widerrufenen Geständnisses wirkt sehr emotional. Und schon zuvor platzt dem Richter der Kragen.
18.06.2020
epd
Von Stephan Köhnlein (epd)

Frankfurt a.M. (epd). Als Stephan E. das Video seines ersten Geständnisses sieht, kommen ihm im Gerichtssaal erneut die Tränen. Eine Unterbrechung der Verhandlung am Donnerstag lehnt der Angeklagte kopfschüttelnd ab. Bundesanwalt Dieter Killmer reicht ein Taschentuch und nach einem kurzen Durchatmen geht es weiter. Das Video ist das erste Beweismittel im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dem Oberlandesgericht Frankfurt.

Aufgezeichnet wurde es in einer polizeilichen Befragung am 25. Juni 2019. Rund eine Woche später widerrief E. das Geständnis. Später belastete er den Mitangeklagten Markus H., den tödlichen Schuss auf Lübcke versehentlich abgegeben zu haben. H. ist allerdings nur wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Beide sollen nach Auffassung der Bundesanwaltschaft aus rechtsradikaler, fremdenfeindlicher Gesinnung gehandelt haben.

In dem Video schilderte E. - immer wieder von Weinen unterbrochen - den Zeitraum von 2010 bis zur Tat. Nach vielen Jahren in der rechtsextremen Szene und mehreren Verurteilungen habe er versucht, sich aus dem Milieu zu verabschieden und ein bürgerliches Leben mit Frau, seinen beiden Kindern und einem geregelten Beruf zu führen.

Doch Themen wie Überfremdung und Ausländerkriminalität hätten ihn nicht losgelassen, sagte er in dem Video-Geständnis. Auf der Arbeit habe er dann seinen früheren Weggefährten Markus H. wiedergetroffen. Mit H. habe er an gemeinsamen Schießübungen teilgenommen. Zudem verkauften beide Waffen.

Mit der Flüchtlingskrise 2015 habe er dann zunehmend Ängste bekommen, dass Deutschland mit Ausländern überflutet werde. Lübcke geriet ins Visier, als er bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden bei Kassel im Oktober 2015 sprach, bei der es um die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in dem Ort ging. Dort waren auch die beiden Angeklagten unter den Besuchern.

Lübcke hat nach Worten von E. gesagt, "dass, wenn Ihnen das hier nicht gefällt, wie wir das hier machen, könnt Ihr das Land verlassen". H. habe die Aussage gefilmt und das Video ins Internet gestellt. E. verließ die Veranstaltung emotional aufgewühlt: "Ich war fassungslos." Von da an habe er Lübcke auf dem Schirm gehabt: "Ich habe halt einen Hass bekommen."

Dieser Hass sei in den folgenden Jahren durch Ereignisse wie die Silvester-Übergriffe in Köln und die Terroranschläge in Frankreich weiter angefacht worden. Immer wieder habe er den Gedanken gehabt, er müsse etwas unternehmen. "Spätestens nach dem Anschlag von Nizza habe ich den Beschluss gefasst, dem Herrn Lübcke etwas anzutun."

In der Folgezeit habe er den Regierungspräsidenten ausgekundschaftet, sei mehrfach zu dessen Haus in Wolfhagen-Istha gefahren, mehrfach auch mit einer Waffe, gesteht E. in dem Video. In der Nacht zum 2. Juni 2019 kam es schließlich zu der Tat.

Bevor es am Donnerstag zur Ansicht des Videos kam, hatte die Verteidigung mehrere Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel gestellt, immer wieder die Unterbrechung der Sitzung beantragt und auch die Reihenfolge der Beweiswürdigung moniert. Als eine längere Debatte darüber entbrannte, wie der Fernseher für die Videopräsentation aufgestellt werden sollte, platzte Sagebiel der Kragen: "Wir sind doch nicht dumm", sagte er. "Das grenzt hier langsam ans Lächerliche."

Der Prozess hatte am Dienstag begonnen. Bis Ende Oktober sind bislang insgesamt 32 Verhandlungstage vorgesehen. Der nächste Termin ist für den 30. Juni angesetzt.