Köln (epd). Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, kritisiert die Kehrtwende von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) im Streit über ein höheres Strafmaß für Kindesmissbrauch und den Handel mit Kinderpornografie. Mit der Anhebung des Mindeststrafmaßes auf ein Jahr und damit auf die Ebene des Verbrechens sei für die Prävention nichts gewonnen, sagte Bertrams dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Samstag). Eine höhere Strafandrohung schrecke Täter nach allen Erfahrungen nicht ab.
Was dagegen abschrecke, sei die Furcht, entdeckt zu werden, betonte der Jurist, der auch der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen angehört: "Je höher die Wahrscheinlichkeit, aufzufliegen und im eigenen sozialen Umfeld geächtet zu werden, desto abschreckender." Bertrams fordert deshalb den verstärkten Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) zur Aufhellung des "Darknet". Dies halte er für den entscheidenden Hebel.
Dagegen seien die Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchungen im Kampf gegen Kindesmissbrauch und Kinderpornografie weitgehend wirkungslose Mittel, sagte Bertrams. Gegenüber diesen umstrittenen Instrumenten habe die KI den Vorteil, dass sich die Frage nach Rechtsverletzungen durch die Ermittler gar nicht erst stelle: "Es gibt im Darknet ja niemanden, in dessen Rechte sie illegalerweise eingreifen könnten." Das Gegenteil sei der Fall: "Die Täter entziehen sich ja gerade dem an Recht und Gesetz gebundenen Raum von Kommunikation und Datenaustausch und bewegen sich bewusst in der Anonymität und der Illegalität."
Justizministerin Lambrecht hatte am Donnerstag erklärt, jeder Missbrauch müsse als Verbrechen eingestuft werden, auch Fälle, "die nicht mit körperlicher Gewalt und Misshandlungen einhergehen". Damit würde die Mindeststrafe auf ein Jahr Haft erhöht. Auch die Mindeststrafe für den Tausch und Vertrieb von Missbrauchsdarstellungen will die Ministerin von sechs Monaten auf ein Jahr heraufsetzen.
Sie reagierte damit auf Forderungen etlicher Unionspolitiker. Bisher hatte Lambrecht Strafverschärfungen abgelehnt und war darin auch von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) unterstützt worden, die insbesondere dafür eintritt, mehr für Prävention zu tun und die Ermittler gut auszustatten.