Osnabrück, Bonn (epd). Der Virologe Hendrik Streeck hat den deutschen Corona-Lockdown mit seinen gravierenden Folgen kritisiert. Nach dem Verbot von Großveranstaltungen seien die Infektionszahlen bereits gesunken, sagte Streeck der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). "Die weiteren Maßnahmen wie Kontaktbeschränkungen hätte ich dann vom tatsächlichen Verlauf abhängig gemacht, auch um zu sehen, wie die einzelnen Beschränkungen wirken und ob zusätzliche Schritte wirklich nötig sind." Stattdessen sei Deutschland zu schnell in den Lockdown gegangen, weil neben der Sorge um die Kapazität der Krankenhäuser ein gewisser Druck in der Öffentlichkeit bestanden habe.
Er glaube nicht, "dass wir am Ende des Jahres in Deutschland mehr Todesfälle als in anderen Jahren gehabt haben werden", sagte der Direktor des Instituts für Virologie der Universitätsklinik Bonn. Er wies auf das Durchschnittsalter der Pandemietoten von 81 hin, das eher oberhalb der durchschnittlichen Lebenserwartung liege.
In den USA seien die Fallzahlen auch deshalb so stark gestiegen, weil Amerikaner mit Husten und Schnupfen weiter arbeiten gingen. "Es gibt dort nicht diese Form der Krankmeldung wie in Deutschland", sagte Streeck, der neun Jahre lang in den USA geforscht hat. In der Folge sei es zu wesentlich mehr Ansteckungen als in Deutschland gekommen.
Der Mediziner sieht auch den Nutzen der angekündigten Corona-App sowie von Massentests und Maskenpflicht skeptisch. Die App komme zu spät. Massentests seien teuer und lohnten sich nicht, "wenn wir nur ein positives Ergebnis auf 100 Tests sehen". Die Gründe, weshalb Mediziner zu Beginn der Pandemie vor dem Tragen von Masken gewarnt hätten, würden immer noch gelten, warnte Streeck, auch wenn davon jetzt nicht mehr die Rede sei: "Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Bakterien und Pilze."