Musik-Mediziner warnt vor Chorgesang in Corona-Zeiten
27.05.2020
epd
epd-Gespräch: Michael Grau

Der Musik-Mediziner Eckart Altenmüller warnt Chöre und Gesangvereine davor, angesichts der Corona-Pandemie zu schnell wieder mit dem gemeinsamen Singen zu beginnen. "Im Chor zu singen, ist sehr gefährlich", sagte der Hochschul-Professor aus Hannover. Weil Chorgesang unmittelbar mit dem Atmen zu tun habe, bestehe ein hohes Risiko, sich mit dem Coronavirus zu infizieren. In diesem Fall könne sich das Virus tief in der Lunge einnisten.

"Wenn wir vermeiden wollen, dass sich diese Pandemie wieder ausbreitet, dann sollten wir im Moment keinen Chorgesang erlauben", sagte Altenmüller. Optimistisch geschätzt könne das Singen in großen Chören in geschlossenen Räumen vielleicht Mitte September wieder beginnen. Das wichtigste Ziel müsse jetzt sein, die Gesundheit der Sängerinnen und Sänger zu schützen. Altenmüller leitet das Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover.

Neben der klassischen Tröpfcheninfektion gehe vor allem von den sogenannten Aerosolen eine Ansteckungsgefahr aus, erläuterte er. Das sind kleinste Tröpfchen, die so leicht sind, dass sie in der Luft schweben. Unter bestimmten Bedingungen halten sie sich nach Auskunft des Mediziners bis zu drei Stunden in der Luft. Aerosole können laut Altenmüller etwa drei bis fünf Meter weit fliegen.

Angaben, nach denen Aerosole beim Singen noch sehr viel weiter geschleudert können, bezeichnete der Forscher als überzogen. Zuletzt hatte eine Vertreterin des niedersächsischen Corona-Krisenstabs davon gesprochen, dass Aerosole beim Singen bis zu 30 Meter weit fliegen könnten. Altenmüller betonte, die Wissenschaft stehe in diesem Punkt noch ganz am Anfang: "Wir haben noch nicht die erforderlichen Messungen."

Für vertretbar hält Altenmüller die neue gesetzliche Regelung in Niedersachsen, nach der Kleingruppen von bis zu vier Personen unter Wahrung des Mindestabstands von 1,50 Metern gemeinsam singen dürfen. Allerdings müsse der Raum groß genug sein - bei vier Sängern mindestens 40 Quadratmeter. Zudem müsse regelmäßig gelüftet werden. Auch Singen im Freien sei mit deutlichen Abständen zueinander denkbar.

Altenmüller bedauerte, dass Chöre wegen der Pandemie zurzeit auf das gemeinsame Singen verzichten müssten: "Wir wissen, wie wichtig der Chorgesang für die Menschen ist", sagte der Mediziner. "Er fördert die Gemeinschaft, trägt zum emotionalen Wohlbefinden bei und stärkt so die Abwehrkräfte. Dass wir das, was wir gerade in dieser Zeit so nötig hätten, nicht tun dürfen, ist besonders bitter."