Berlin (epd). Die Amadeu Antonio Stiftung hat von der Bundesregierung eine klare Strategie und überprüfbare Ziele im Kampf gegen Rechtsextremismus gefordert. "Beispiel für ein solches Ziel wäre, die Zahl der rechtsextrem politisch motivierten Straftaten innerhalb von fünf Jahren um 50 Prozent zu reduzieren", heißt es in einem am Dienstag vorgestellten Papier der Stiftung. Es richtet sich an den nach mehreren rechtsextrem motivierten Anschlägen eingerichteten Kabinettsausschuss der Bundesregierung, der am Mittwoch erstmals tagen soll.
Das Papier enthält eine Reihe von Forderungen an die Mitglieder der Bundesregierung. Stiftungsgeschäftsführer Timo Reinfrank, Mitautor des Papiers, verlangte unter anderem auch eine Strafbarkeit für das Veröffentlichen sogenannter Feindeslisten. Dass dies bislang nicht justiziabel sei, sei ihm unklar, sagte Reinfrank. Rechtsextremisten hatten mit solchen Listen, auf denen politische Gegner, Journalisten oder Aktivisten genannt wurden, in der Vergangenheit für Angst gesorgt.
Das Papier fordert außerdem eine Überprüfung, inwiefern die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umgesetzt wurden. Reinfrank sagte, insbesondere bei Polizei und Justiz sei noch einiges zu tun. Er kritisierte, dass die Erfassung politisch motivierter Straftaten nicht transparent sei. Zudem müssten die Sicherheitsbehörden viel mehr darüber kommunizieren, um für das Thema zu sensibilisieren.
Reinfrank sagte, nach dem NSU-Untersuchungsausschuss sei vieles in Gang gekommen, inzwischen aber auch wieder in Vergessenheit geraten. Deshalb sei es gut, das Thema Rechtsextremismus "mit der Autorität der Kanzlerin" wieder in den Fokus zu rücken.
Reinfrank äußerte sich anlässlich des Kabinettsausschusses und des bevorstehenden ersten Todestages von Walter Lübcke in einem Pressegespräch des Mediendienstes Integration. Der Kasseler Regierungspräsident Lübcke war am 2. Juni 2019 vor seinem Wohnhaus mutmaßlich vom Rechtsextremisten Stephan E. erschossen worden.
Nadiye Ünsal vom Migrationsrat Berlin forderte von der Bundesregierung, die Perspektive der Betroffenen bei Maßnahmen stärker zu berücksichtigen. Sie lebten mit der Gewissheit, dass weitere Taten Rechtsextremer passieren könnten. Auch sie forderte, die Vernetzung von Neonazis mit Rechtextremen in den Sicherheitsorganen und anderen Behörden aufzuklären, zu benennen und zu ahnden.
Nach Worten des Sprechers im Bundesjustizministerium, Maximilian Kall, wollen Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) dem Kabinettsausschuss Vorschläge vorlegen. Im Bundestag beraten wird bereits ein Paket gegen Rechtsextremismus, dass unter anderem eine Verschärfung des Strafrechts im Bereich der Hasskriminalität und eine Meldepflicht für strafbare Inhalte in sozialen Netzwerken vorsieht. Giffey setzt sich zudem für ein Gesetz ein, dass Initiativen und Vereinen gegen Extremismus dauerhafte Förderung sichern würde, hat dazu aber bislang noch keine Einigung mit der Union erreichen können.
Die Bundesregierung hatte im März den Kabinettsausschuss für die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus eingesetzt. Dies war eine Reaktion auf die Ermordung von Lübcke, den antisemitisch motivierten Anschlag auf die Synagoge in Halle und die rassistischen Morde in Hanau im Februar dieses Jahres.