Berlin, Osnabrück (epd). Nach Corona-Ausbrüchen in deutschen Schlachthöfen dringt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auf rasche gesetzliche Regelungen für einen besseren Arbeitnehmerschutz. "Es ist Zeit, in diesem Bereich aufzuräumen und durchzugreifen", sagte er am Montag in Berlin. Zuvor hatte das Corona-Kabinett beraten, aber keine Beschlüsse zu dem Thema gefasst, obwohl Heil Vorschläge dazu erarbeitet hatte. Der Minister sagte, der Koalitionspartner hätten noch Gesprächsbedarf. Er gehe davon aus, dass die Minister der großen Koalition aus Union und SPD die Maßnahmen am Mittwoch beschließen werden.
Derzeit mehren sich Corona-Ausbrüche in der Fleischindustrie. Die infizierten Mitarbeiter sind meist Werkvertragarbeiter aus Osteuropa, die bei Subunternehmen beschäftigt und in Sammelunterkünften untergebracht sind. Nach Nordrhein-Westfalen verzeichnet nun auch Niedersachsen einen massiven Corona-Ausbruch in der Branche. Das Land habe einen Zerlegebetrieb in Dissen bei Osnabrück für zunächst zwei Wochen geschlossen, sagte Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) am Montag in Hannover. Zuvor seien 92 von rund 280 Mitarbeitern positiv auf das Coronavirus getestet worden.
In Nordrhein-Westfalen hatte es zuerst in einem Schlachthof in Coesfeld bei Münster einen Corona-Ausbruch mit mittlerweile mehr als 250 infizierten Arbeitern gegeben. Deshalb lässt auch die dortige Landesregierung in allen 85 Schlachtbetrieben im Land die insgesamt rund 20.000 Mitarbeiter auf das Coronavirus testen.
Heil kritisierte "Missstände" in der Branche. Konkret nannte er die "Überbelegung und Wuchermieten bei Unterkünften, Verstöße gegen Hygiene-, Abstands- und Arbeitsschutzbestimmungen, Verstöße gegen den Mindestlohn und das Arbeitszeitgesetz sowie - als eine Wurzel des Übels - dubiose Vertragsstrukturen mit Sub-, Sub- und Subunternehmen". Diese Missstände seien auch ohne Pandemie ein Problem. In der Coronakrise seien sie aber zu einem "gefährlichen Gesundheitsrisiko" geworden, für die Beschäftigten aber auch für die gesamte Bevölkerung.
Nach Vorstellungen des Ministers sollen künftig Unternehmen stärker in die Verantwortung genommen werden für den Gesundheits- und Arbeitsschutz ihrer Mitarbeiter. Die Länder müssten dann stärker kontrollieren. Darüber hinaus soll der Zoll enger mit Arbeitsschutz-, Gesundheits- und Ordnungsbehörden zusammenarbeiten können.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte bereits am vergangenen Mittwoch bei einer Befragung der Regierung im Bundestag Konsequenzen angekündigt und versichert, nicht zufrieden zu sein "mit dem, was wir da jetzt gesehen haben".
Die Vizevorsitzende der SPD-Fraktion Katja Mast erklärte, sie vermisse eine klare Haltung der Union. "Die Blockade der Vorschläge versteht niemand und ist auch niemandem zu erklären." DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel warnte davor, "dringend notwendige Verbesserungen auf die lange Bank zu schieben". Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie seien schon seit Jahren eine Katastrophe. Die Linken-Expertin für Mitbestimmung und Arbeit, Jutta Krellmann, erklärte, der ausbeuterische Missbrauch von Werkverträgen müsse abgeschafft werden. Arbeits- und Gesundheitsschutz habe für alle Beschäftigte zu gelten, auch in den Unterkünften.
Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten forderte erneut ein Verbot von Werkverträgen mit Subunternehmen in der Fleischindustrie. Das Fleisch würde für Verbraucher nur rund zehn Cent pro Kilo teurer, wenn Arbeiter angemessen bezahlt würden, sagte Matthias Brümmer, Geschäftsführer der NGG-Region Oldenburg/Ostfriesland, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
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