Wenn die evangelische und die katholische Gemeinde in Oberstaufen im Sommer jeden Freitag zum Berggottesdienst auf dem Hündle und dem Hochgrat einladen, stehen sie in bester Tradition zur biblischen Bergpredigt. "Manchmal sind es nur hundert Teilnehmende, manches Mal aber auch bis zu 500 Gottesdienstbesucher am Hochgrat", erzählt der evangelische Pfarrer Frank Wagner. Seit zehn Jahren bieten er und sein katholischer Amtskollege Pastoralreferent Josef Hofmann spezielle Berggottesdienste, Konzerte und Kirchenmusik, Meditations- und Kapellen-Wanderungen sowie weitere spirituelle Angebote unter dem Motto "Atempause" an.
Doch der eigentlich schon im April dieses Jahres geplante Festabend zum Zehnjährigen der "Atempausen" in Oberstaufen wurde wegen der Corona-Krise in den Herbst verschoben. Ob und wann es im Sommer wieder Berggottesdienste geben wird, ist nach Ansicht von Oberstaufens evangelischem Pfarrer Frank Wagner unsicher.
"Bezüglich der Gottesdienste gibt es zwar Lockerungen, aber im Moment fährt bei uns keine Bahn, kein Urlaubsgast ist da, die Hotels sind leer und keiner weiß, wann sich etwas an der Situation ändert", erzählt Wagner. Man gebe deshalb in diesem Jahr auch kein gedrucktes Sommerprogramm heraus, sondern stelle alle Veranstaltungen - so sie denn dann stattfinden - online.
"Ich persönlich gehe davon aus, dass wir vor Juli keine Berggottesdienste feiern werden, wäre schön, wenn es anders kommt", hofft der Theologe. Sollte die Corona-Pandemie aber ein zweites Mal ausbrechen, wären solche Gottesdienste wohl undenkbar.
Stille erleben, Aussicht genießen, innehalten auf aussichtsreichem Plateau. Wenn Wagner und Hofmann normalerweise in den Sommermonaten auf den Hündle, Imberg oder Hochgrat einladen, ist es immer eine ungewöhnliche Stimmung. "Während oben auf dem Berg die letzten Vorbereitungen am Gipfelkreuz laufen, kommen die Besucher schnaubend den Berg hoch", erzählt Wagner, der einer der Hauptinitiatoren dieses Angebots ist.
Gesang in alle Himmelsrichtungen
Bei den Berggottesdiensten etwa gibt Pfarrer Frank Wagner mit seiner Tuba den Ton vor und Touristenseelsorger Josef Hofmann setzt mit dem Gesang ein, der Wind trägt den Gesang in alle Himmelsrichtungen. Manche liegen im Gras, andere sitzen auf Bänken, wer will, geht ganz nach vorne zu den Predigern, wer ein wenig Abstand braucht, lauscht aus der Ferne, ganz ungezwungen.
"Manche wollen eigentlich nur wandern und erfahren dann unterwegs auf dem Weg von dem Gottesdienst", sagt Wagner. Meist sind es dann Urlauber, die einen Zwischenstopp auf einer ihrer Wanderungen entlang der berühmten Nagelfluhkette machen. Andere wiederum steuern gezielt den Berg hinauf und wollen bei den Sonnenaufgangs- oder Sonnenuntergangsgottesdiensten dabei sein. Denn wo wirkt Landschaft majestätischer als auf dem Gipfel eines Berges und wo ist man dem Himmel auf Erden näher? "Vielleicht ziehen spirituelle Impulse in der freien Natur deshalb so viele Menschen an, die sonst den Weg in die Kirche eher scheuen", meint Wagner.
Abstand vom Trubel
Im knapp 8.000 Einwohner zählenden Schrothkurort Oberstaufen hatte damals vor zehn Jahren alles ganz spontan angefangen. Pfarrer Wagner war in den 1990er-Jahren Vikar in Oberstaufen, als die ersten Ideen etwa für einen Kapellenweg aufkamen. Im Jahr 2010 wurden die "Atempausen" am Alpenrand zwischen Bodensee und Königsschlössern eingeführt. Schließlich wollte man in dem Schrothkur- und Winterurlaubsort den Einheimischen, Zugereisten und Tagesgästen etwas anbieten, um im Alltag oder im Urlaub auch mal Abstand vom Trubel zu gewinnen.
In Oberstaufen wurde daraus ein Erfolgsprogramm. "Hier geht es längst nicht mehr nur um fröhliches Kuren, sportliche Aktivitäten und komfortables Urlauben, sondern für viele auch ums Innehalten", schrieben die beiden Touristenseelsorger im Vorfeld eines ursprünglich für 24. April geplanten Festabends im Kurhaus mit der Bestseller-Autorin Tanja Kinkel. Dieser wurde nun auf den 23. Oktober verschoben.