Kassel (epd). Krankenkassen dürfen gehbehinderte Menschen für die Fortbewegung in der Nähe ihrer Wohnung nicht nur auf eine Minimalversorgung mit Mobilitätshilfen verweisen. Bietet ein Hilfsmittel, wie ein spezielles Therapiedreirad, wesentliche Mobilitätsvorteile, kann die Krankenkasse zur Kostenübernahme verpflichtet sein, urteilte am Donnerstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. (AZ: B 3 KR 7/19 R) Den konkreten Fall verwiesen die obersten Sozialrichter wegen fehlender Feststellungen jedoch an die Vorinstanz zurück.
Konkret ging es um eine 27-jährige, gehbehinderte Frau, die sich zur Fortbewegung im Nahbereich ihrer Wohnung ein Therapiedreirad-Tandem für 7.697 Euro gekauft hatte. Die Frau ist geistig behindert und auf dem Entwicklungsstand eines Kleinkindes. Ihr behandelnder Arzt hatte ihr das Tandem verordnet, damit sie bei Fahrten mit ihrer Mutter ihren Gleichgewichtssinn trainieren und sich im Wohnviertel fortbewegen kann.
Die Krankenkasse lehnte die Zahlung ab. Im Nahbereich könnte sich die Frau auch mit einem Schieberollstuhl bewegen. Das Landessozialgericht (LSG) Celle sprach ihr jedoch die Kostenerstattung zu und verwies auf ein Gutachten, wonach das Hilfsmittel zur Vorbeugung einer drohenden oder der Verschlimmerung einer bestehenden Behinderung erforderlich sei.
Das BSG urteilte nun: Die Begründung, dass das Therapiedreirad eine Behinderung vorbeuge, komme hier nicht in Betracht. Dennoch könne die Krankenkasse zur Kostenübernahme verpflichtet sein. Denn behinderte Menschen hätten ein Wahlrecht, welches Hilfsmittel sie hierfür nutzen wollen. Die Krankenkasse dürfe nicht pauschal auf eine Minimalversorgung - hier etwa der Schieberollstuhl - verweisen.
Weise das Therapiedreirad-Tandem wesentliche Vorteile bei der Erschließung des Nahbereichs auf, müsse die Kasse das Hilfsmittel bezahlen, entschied das BSG. Ob dies hier der Fall ist, müsse das LSG noch einmal prüfen.