Als Papst Johannes Paul II. am 2. April 2005 stirbt, blickt buchstäblich die ganze Welt auf Rom. Bei der Trauerfeier auf dem Petersplatz weht ein frischer Frühlingswind, er schlägt die Bibel auf dem schlichten Sarg auf, wirbelt die Seiten durcheinander. Mehrere Millionen Pilger sind nach Rom geströmt, auch in seiner Heimat Polen kommen Hunderttausende zum Gedenken zusammen. Am 18. Mai wäre Johannes Paul II. 100 Jahre alt geworden.
Er war erste Nicht-Italiener auf dem Papstthron seit dem 16. Jahrhundert und zwischen 1978 und 2005 im Amt - es gab eine ganze Generation, die keinen anderen Papst erlebt hatte. Obwohl das konservative Oberhaupt der katholischen Kirche zeitlebens gegen Verhütungsmittel, Ehescheidungen und Frauenpriestertum gekämpft hatte, hatte ihm sein Engagement gegen den Irak-Krieg im hohen Alter noch einmal ungeahnte Popularität verschafft. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, betonte zum 100. Geburtstag die "wache Zugewandtheit und menschliche Wärme" Johannes Paul II.
Seine tiefe Frömmigkeit und die Willenskraft, mit der er bis zuletzt seiner Parkinsonerkrankung trotzte, nötigten auch Kritikern Respekt ab. Ob bei seinen bis ins hohe Alter zahlreichen Auslandsreisen oder bei seinem letzten öffentlichen Auftritt, als er den Mund öffnete, aber kein Wort mehr sagen konnte: Bilder des schwer erkrankten Kirchenoberhaupts brachen mit dem Tabu, demzufolge Altern hinter verschlossenen Türen stattzufinden hat.
Der Papst führte die katholische Kirche mit seiner Forderung nach der Achtung der Menschenrechte und seiner beispiellosen Vergebungsbitte "Mea Culpa" für Verfehlungen und Verbrechen der katholischen Kirche ins 21. Jahrhundert. Darin erwähnte er auch die Leiden der Juden. Wenig später, Ende März 2000, reiste er nach Israel, wo er als erster Papst die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem besuchte.
Dialog mit Juden und Muslimen
Entscheidend trug er zur Öffnung der katholischen Kirche für den Dialog mit Juden und Muslimen bei. Die Erinnerung an die Kindheit in seiner von Nationalsozialisten besetzten Heimat Polen mag dazu geführt haben, dass er sich um Aussöhnung vor allem mit dem Judentum bemühte. Auch als Pontifex pflegte er Jugendfreundschaften zu Juden, besuchte als erster Papst eine Synagoge und bezeichnete Juden als "unsere älteren Brüder".
Karol Wojtyla wurde im polnischen Wadovice groß, spielte begeistert Theater und Fußball. Sofort nach seiner Wahl zum Papst am 16. Oktober 1978 machte der langjährige Erzbischof von Krakau klar, dass er sich nicht auf die religiöse Sphäre beschränken würde. Indem er die polnische Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" unterstützte, leistete er seinen Beitrag zum Fall des Kommunismus in Osteuropa und der Sowjetunion.
Rigide Sexualvorstellungen
Gleichzeitig hielt er an rigiden Sexualvorstellungen fest. Bei Weltjugendtagen freute er sich am Jubel junger Menschen; für Sex vor der Ehe, wiederverheiratete Geschiedene oder auch den Einsatz von Kondomen gegen die Ausbreitung von Aids hatte er aber kein Verständnis.
Drei seiner insgesamt rund hundert Auslandsreisen führten Johannes Paul nach Deutschland. Der deutsche Kardinal Karl Lehmann (1936-2018) erinnerte nach dem Tod des Papstes an dessen Gang durch das Brandenburger Tor 1996. Johannes Paul II. habe immer für eine "Kultur der Freiheit" geworben, sagte der Kardinal, der selbst immer wieder mit Rom gerungen hat, etwa in der Frage der Schwangerenberatung.
Die Erfahrungen mit der Sowjet-Herrschaft in seiner polnischen Heimat nährten den Antikommunismus von Wojtyla. Dieser machte den Papst nach Ansicht des italienischen Vatikanexperten Marco Politi "blind" und führte zur Ablehnung von Befreiungs- und anderen Reformtheologen.
Zwischen Verehrung und Verachtung
Politi kritisiert auch die mangelnde Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche durch Johannes Paul II. Die von Karol Wojtyla fortgesetzte Tradition, der zufolge es vor allem galt, den Ruf der Kirche zu schützen, nennt Politi eine "systemische Sünde der Kirche".
Nach seinem Tod schlug die Verehrung für den Papst aus dem Osten vielfach in Verachtung für einen konservativen Kirchenführer um, der nicht auf Missbrauchs- und Finanzskandale reagiert hatte. "Die Bewunderung war ebenso unkritisch wie jetzt die Unterschätzung", sagt Politi. Johannes Paul habe die Würde anderer Religionen anerkannt und sich in der Ökumene-Enzyklika "Ut unum sint" ("Dass sie eins seien") bereiterklärt, mit anderen Konfessionen über die Rolle des Papstamtes im Zeichen der Einheit der Christen zu diskutieren.
Der Warschauer Publizist Adam Krzeminski urteilt aus polnischer Sicht, im Heimatland des Papstes werde mittlerweile bemängelt, dass Johannes Paul II. die polnische Kirche "zu stark im alten Flussbett des dörflichen Katholizismus einhegte und Reformen unterband".
Kritisch stand Johannes Paul nicht nur dem Kommunismus, sondern auch dem Kapitalismus gegenüber. Immer wieder warnte er vor den verheerenden Folgen einer ungebremsten Herrschaft des Marktes. Heftige Kritik äußerte er an den USA, als diese 2003 ohne UN-Mandat in den Irak einmarschierte. Zuvor hatte der Papst alle Hebel der Vatikandiplomatie gegen die Eskalation in Bewegung gesetzt. "Er sollte historisch recht behalten", sagt der Papstkenner Politi. "Die Invasion erwies sich als Desaster."