Gütersloh (epd). Die Zahl der Länder, in denen die Demokratie durch Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und Einschränkung der politischen Freiheiten untergraben wird, steigt. Wie aus dem am Mittwoch in Gütersloh veröffentlichten "Transformationsindex 2020" der Bertelsmann Stiftung hervorgeht, haben autoritäre Regierungsmuster in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich zugenommen. Von 137 untersuchten Entwicklungs- und Transformationsstaaten seien 74 (54 Prozent) als Demokratie eingestuft worden. In 63 Ländern herrschten Machtmissbrauch, Korruption und Repression, was die soziale Spaltung weiter vertiefe.
Im Vergleich zur Erhebung von 2010 sei das ein Rückschritt um drei Prozentpunkte, als das Verhältnis 57 zu 43 Prozent lag. "Nationalismus und Klientelpolitik sind nicht neu, aber sie sind weltweit salonfähig geworden", sagte Brigitte Mohn, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung.
In 60 Staaten wurde laut Studie die Gewaltenteilung seit 2010 erkennbar ausgehöhlt. In 58 Ländern wurden Demonstrationsrechte und Organisationsfreiheit eingeschränkt. Die Meinungs- und Pressefreiheit wurde sogar in der Hälfte aller untersuchten Länder verringert, wie es hieß. Die in der Corona-Krise verabschiedete Notstandsgesetzgebung in Ungarn verdeutliche einmal mehr, dass die Bekämpfung von Covid-19 von einigen Staatschefs zur Festigung autoritärer Strukturen instrumentalisiert werde, erklärten die Autoren der Studie.
Auffallend ist ihren Worten zufolge der vielerorts aktiv vorangetriebene Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechten in einst stabilen Demokratien. Als Beispiele werden neben Ungarn der Hindunationalismus in Indien oder der Rechtpopulismus in Brasilien genannt. Erstmals wird in dem Index auch die Türkei als Autokratie aufgrund massiver Einschränkung der Pressefreiheit, grober Missachtung von Bürgerrechten und Aushebelung der Gewaltenteilung geführt.
In 76 der 137 untersuchten Länder sind Armut und Ungleichheit weit verbreitet, darunter in 46 von 50 afrikanischen Ländern, wie es weiter hieß. Diese chronischen Missstände seien häufig die Folgen von Machtkonzentration und Vetternwirtschaft. So verzeichne der Indes in mittlerweile über 100 Ländern einen verzerrten politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb. Das gilt demnach nicht nur für die 63 Autokratien, sondern auch für zahlreiche Demokratien mit schwacher Gewaltenteilung, wie Serbien und Ungarn.
Entsprechend sinke die Regierungsqualität in vielen Entwicklungs- und Transformationsländern. Unter den 42 Staaten, die laut Studie als sehr gut und gut regiert eingestuft werden, findet sich mit Singapur nur eine Autokratie. Dem gegenüber befinden sich unter den 46 Ländern mit schlechter oder gescheiterter Regierungsführung lediglich fünf Demokratien: Bosnien und Herzegowina, Lesotho, Libanon, Nigeria und Ungarn.
In bevölkerungsreichen und wirtschaftlich bedeutsamen Staaten wie Ägypten, Brasilien, Indien, Indonesien, Mexiko, Nigeria und die Türkei habe sich vor allem die Ungleichheit zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen verschärft. Bestehende ethnische, religiöse oder regionale Spaltungen würden häufig instrumentalisiert und vertieft. Fehlendes Vertrauen der Bürger und mangelnde politische Führungsfähigkeit seien schlechte Voraussetzungen für ein erfolgreiches Krisenmanagement und die Eindämmung von Covid-19, warnten die Autoren.
Die Autoren lobten hingegen eine zunehmend kritische Zivilgesellschaft. So hätten langanhaltende Proteste etwa in Äthiopien und auch in Algerien oder dem Sudan zur Hoffnung auf politische Veränderung geführt. Der Transformationsindex der Bertelsmann Stiftung zur Qualität von Demokratie und Marktwirtschaft wird alle zwei Jahre veröffentlicht.