Psychotherapeut: Kleine Kinder leiden sehr unter Corona-Krise
24.04.2020
epd
epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf

Hannover (epd). Angesichts geschlossener Kindergärten fordert der Psychotherapeut Uwe Brandes, das Wohlergehen der Drei- bis Sechsjährigen während der Corona-Pandemie stärker in den Blickpunkt zu rücken. "Die Kinder leiden sehr unter dieser Situation", sagte Brandes dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für sie gebe es momentan keinen Kindergarten, keine Spielkameraden und keine Besuche bei den Großeltern. Brandes ist stellvertretender Leiter des Winnicott-Instituts in Hannover.

Der Psychotherapeut plädiert dafür, während der Pandemie ältere Menschen zu schützen und Kindern wieder mehr Platz im öffentlichen Leben einzuräumen. Ältere hätten viele Möglichkeiten, für ihre Interessen einzutreten. "Die Jüngsten haben diese Möglichkeit nicht. Sie haben kein Sprachrohr. Mit ihnen wird alles einfach so gemacht", kritisierte der Kinderpsychotherapeut.

Dabei seien die Auswirkungen der Kita-Schließungen für Kinder erheblich: "Kinder vermissen ihre Erzieher und Spielkameraden sehr." Das führe zu einer Trauerreaktion - mit unterschiedlichen Folgen wie Rückzug, aber auch Wut und Aggression. Um ihre Gefühle verarbeiten zu können, müssten Kinder mit Gleichaltrigen spielen können. "Das freie Spiel mit anderen entlastet Kinder", betonte Brandes: "Es hilft ihnen, das krisenhafte Geschehen zu verarbeiten." Es sei extrem schwierig, dass Kindern auch diese Möglichkeit genommen werde.

Dazu komme eine in vielen Familien ohnehin sehr angespannte Situation. "Kleine Kinder nehmen die Ängste und Sorgen, den Stress und die Gereiztheit ihrer Eltern sehr sensibel wahr", sagte Brandes: "Sie verstehen aber nicht, warum das so ist. Und man kann es ihnen in diesem Alter auch nicht erklären."

Als Illusion bezeichnet es der Psychotherapeut, dass Eltern mit kleinen Kindern im Homeoffice arbeiten könnten. "Kinder in diesem Alter können weder Zeiträume abschätzen noch ihre Bedürfnisse hinten anstellen und sich über längere Zeit mit sich selbst beschäftigen" erläuterte er: "Sie brauchen ihre Eltern jetzt mehr denn je. Ich denke, viele Eltern begreifen gerade: Es ist ein Fulltime-Job, Kinder zu erziehen."