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TV-Tipp: "Getrennt durch Stacheldraht" (ARD)
20.4., ARD, 23.30 Uhr
Diese Geschichte hätte sich ein Drehbuchautor kaum besser ausdenken können: Im Frühjahr 1945 kreuzen sich die Lebenswege zweier Jugendlicher in einem Konzentrationslager; 75 Jahre später treffen sie sich wieder.

Dušan Stefancic (Jahrgang 1927) gehörte zum slowenischen Widerstand, erlebte eine regelrechte KZ-Odyssee und landete schließlich in St. Georgen an der Gusen (Oberösterreich). Dort hatte der Vater von Walter Chmielewski (1929) wenige Jahre zuvor eine Außenstelle des Lagers Mauthausen errichten lassen. In die Geschichte des Nationalsozialismus ist Karl Chmielewski als "Der Teufel von Gusen" eingegangen, weil er sich eine besonders grausame Mordmethode ausgedacht hatte. Hier der Junge, der in seiner Heimat Flugblätter verteilt und aufständische Parolen an die Fassaden geschrieben hat, dort der Sohn des KZ-Leiters, der seine Jugendjahre mit einem liebevollen Vater als glücklich bezeichnet: Gegensätzlicher könnten zwei Biografien kaum sein.

Es ist ein beliebtes Stilmittel von Dokumentationen, zwei Lebensläufe parallel zu erzählen, um ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten zu können. Oft laufen diese Handlungsstränge allerdings bloß nebeneinander her. Das ist in diesem Film von Julia und Robert Grantner zwar zunächst nicht anders, weil Dušan und Walter in ihrer Jugend höchstwahrscheinlich keinen persönlichen Kontakt zueinander hatten; aber der Stacheldraht, der sie getrennt hat, stellt natürlich auch so etwas wie eine Verknüpfung dar. Außerdem verrät der Kommentar gleich zu Beginn, dass sich die beiden alten Herren am Ende begegnen werden. Dieses Treffen in einem Café im slowenischen Ljubljana fällt jedoch viel zu kurz aus und ist allenfalls eine Art Epilog. Der Film begleitet Walter über weite Strecken zu den Stätten des früheren Arbeitslagers, und natürlich wäre es ungleich spannender gewesen, wenn die beiden Männer ihre Erinnerungen an Ort und Stelle ausgetauscht hätten. Gut möglich, dass sich Dušan die entsprechenden Reisestrapazen nicht zumuten wollte (oder konnte).

Sehenswert ist "Getrennt durch Stacheldraht" trotzdem, weil der Film einen weiteren Fehler vermeidet: Viele Autoren tun so, als könnten sie in die Köpfe ihrer Protagonisten schauen, anstatt sie selbst erzählen zu lassen. Die Grantners haben dagegen eigene Eitelkeiten völlig zurückgestellt. Ihre Dokumentation gehört Dušan und Walter. Der Kommentar ergänzt die Berichte der beiden nur um Hintergrundinformationen. Historiker, auch das ist ein Unterschied zu anderen Sendungen dieser Art, kommen nur gelegentlich zu Wort; die Schilderungen der Männer sind ohnehin beredt genug. Im Dorf, erzählt Walter, hätten alle gewusst, was im Lager passiert. Gegen Kriegsende mussten die Insassen Stollen in den Fels treiben, viele hielten die Schinderei keine Woche durch und starben. Es sei die Hölle im Paradies gewesen, heißt es im Film. An die 45.000 Menschen sind im KZ Gusen ermordet worden. Dušan war handwerklich geschickt und sprach deutsch, das hat ihm das Leben gerettet.

Die besondere Faszination liegt aber nicht nur im biografischen Kontrast. Walter gibt eine schlüssige Antwort auf jene Fragen, die gut zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viele Studenten auf die Straße getrieben haben. Er schämt sich bis heute für die Untaten, die sein früh in die NSDAP und die SS eingetretener Vater begangen hat, doch er war auch ein Kind seiner Zeit: Karl Chmielewski hat seinen Sohn auf eine "Napola" geschickt, eine Nazi-Eliteschule. Gehirnwäsche und Bevormundung, erzählt Walter, seien ihm ein Gräuel gewesen, aber die Uniform habe er mit Stolz getragen, und wenn er von einer zufälligen Begegnung mit Adolf Hitler berichtet, geht dem einstigen Hitler-Jungen das Wort "Führer" ganz ohne Anführungszeichen über die Lippen.

Eine bizarre Szene ist Walters Rückkehr an den Ort seiner Jugend. Dort, wo sich einst das KZ Gusen befand, steht heute eine Siedlung. Mit Schaudern erinnert sich der alte Mann daran, wie er hier vor 75 Jahren Leichen transportiert hat. Er hatte sich mit 15 freiwillig zur Wehrmacht gemeldet und musste seine Kriegsgefangenschaft, Ironie des Schicksals, ausgerechnet im zwischenzeitlich befreiten Konzentrationslager seines zuvor nach Holland versetzten Vaters verbringen. Einige Tage lang befanden sich die beiden Jugendlichen auf der gleichen Seite des Stacheldrahts, dann kehrte Dušan in seine Heimat zurück. Zwischen den heutigen Wohnhäusern schreitet Walter noch mal den Weg zu dem Massengrab ab, das er mit anderen Gefangenen ausheben musste. Ob es eine entsprechende Gedenktafel gibt, lässt die Dokumentation ebenso offen wie die Frage, ob die Bewohner der Siedlung wissen, dass ihre Häuser auf den Fundamenten des Lagers stehen.

Die optische Gestaltung des Films ist angenehm zurückhaltend. Auf szenische Rekonstruktionen wurde völlig verzichtet, auch die ohnehin sehr moderate Musik wird nur sehr sparsam eingesetzt. Als Illustration der Erzählungen dienen Aufnahmen des baugleichen und bis heute erhaltenen Lagers in Mauthausen sowie dokumentarische Filmausschnitte und Fotos, gelegentlich auch Zeichnungen von Überlebenden des Lagers. Was in anderem Zusammenhang optisch eintönig wirken würde, ist hier völlig angebracht, zumal die beiden alten Herren fesselnde Erzähler sind.