Altmodischer Fernsehapparat steht auf Tisch.
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TV-Tipp: "Toni, männlich, Hebamme: Sündenbock"
17.4., ARD, 20.15 Uhr
Manchmal genüg ein Wechsel des Vorzeichens, um eine Geschichte völlig neu zu erzählen: mit einer Frau in einem typischen Männerberuf – oder mit einem Mann als Hebamme. Die ersten beiden Episoden der ARD-Freitagsfilmreihe "Toni, männlich, Hebamme" waren zwar sehenswert, aber die Figuren mussten sich erst noch finden; außerdem orientierte sich die Struktur allzu offenkundig an der bewährten Zopfdramaturgie mit ihren drei ABC-Handlungssträngen (A wie Abenteuer, B wie Beziehung, C wie Comedy). Der dritte Film, "Sündenbock", wirkt dagegen wie aus einem Guss, weil die Ebenen nun perfekt miteinander verzahnt sind. Auch handwerklich gibt es nichts auszusetzen. Inszenierung, Darstellerführung, Ausstattung: alles ebenso gelungen wie die Balance zwischen Drama und Komödie.

Sebastian Stojetz (Buch) und Sibylle Tafel (Buch und Regie) haben sich zudem eine Geschichte ausgedacht, die sämtliche Mitwirkenden zu Hauptdarstellern macht; selbst wenn Leo Reisinger als oberbayerische Titelfigur natürlich im Vordergrund steht, zumal er das Bindeglied zwischen den einzelnen Strängen ist. Auf der dramatischen Ebene geht es um nicht weniger als Tonis Existenz: In einer stürmischen Nacht wird er zu einer Hausgeburt aufs Land gerufen. Als es Komplikationen gibt (für Eltern und Fachleute: Beckenendlage), will er die Mutter ins nächste Krankenhaus bringen, aber dort verweist man ihn ins fünfzig Kilometer entfernte Rosenheim. Toni muss das Problem also selbst lösen, was ihm schließlich auch bravourös gelingt. Wenige Tage später erscheint eine Polizistin in seiner Praxis: Bei dem Säugling sind mehrere Rippenbrüche festgestellt worden; dem Hebammerich droht eine Anklage wegen grob fahrlässiger Körperverletzung.

Würde der Film nur diese Geschichte erzählen, wäre er natürlich ein Drama; allerdings deutet bereits der Titel "Sündenbock" an, dass Toni unschuldig ist. Verblüffenderweise ist es Tafel gelungen, die Geschichte trotz des tragischen Potenzials – der angeblich zu Wutausbrüchen neigende Kindsvater gerät in Verdacht, seinen Zorn an dem Baby ausgelassen zu haben – als Komödie zu erzählen. Für die heiteren Momente ist vor allem Tonis WG-Kumpan Franzl zuständig. Frederic Linkemann, den meisten Zuschauern vermutlich als bester Freund des Helden aus den Eberhofer-Krimis bekannt, erweist sich erneut als begnadeter Komödiant, dessen Auftritte Tafel zudem wohldosiert hat. Wenn Schauspieler die Dialoge der anderen Darsteller mimisch kommentieren, wirkt das oft aufgesetzt; hier sorgt es für zusätzliche Lacher. Außerdem darf Franzl, der sich unter anderem durch einen extravaganten Hemdengeschmack auszeichnet (Extralob ans Kostümbild!), eine ungewöhnliche und nicht ganz einfache Romanze erleben: Er verliebt sich ausgerechnet in Tonis frühere Chefin (Juliane Köhler), die den Spitznamen "Evi the evil" (Evi das Böse) ganz bestimmt nicht ihrem Charme verdankt. Weil sie außerdem 15 Jahre älter ist, hat sie Zweifel, dass die Beziehung funktionieren könnte. Für ein bisschen Krimiflair mit überraschender Auflösung sorgt darüber hinaus die Frage, wer dem Baby die Verletzungen zugefügt hat.

Rund um die zentralen Ebenen erzählen Stojetz und Tafel noch weitere kleine Geschichten; unter anderem fühlt sich Tonis Ex-Frau (Kathrin von Sternburg), die ihn als Anwältin in der Baby-Sache vertritt, wieder zu ihm hingezogen. Und dann ist da noch die Beziehung Tonis zu seiner Praxispartnerin Luise (Wolke Hegenbarth): Die Gynäkologin, eine frühere Karnevalsbekanntschaft, möchte ein Kind und bittet Toni um eine Samenspende. Die bekommt sie auch, allerdings auf konventionellem Weg; die Frage, ob es zwischen den beiden zu einer Beziehung kommt, dürfte sich durch die weiteren Episoden ziehen. Luise sorgt auch für die schönsten Szenen des Films, allerdings nur als Spielpartnerin: Heimlicher Star der Komödie ist ein diebischer Waschbär, der nicht nur in der Wohnung der Ärztin für derart viel Chaos sorgt, dass er selbst Linkemann die Schau stiehlt.

Drehen mit Hunden ist schon eine Herausforderung; für die Arbeit mit einem Waschbären dürfte das erst recht gelten. Aber die Mühe hat sich gelohnt: Dem selbstverständlich Rocky genannten Tier werden garantiert alle Herzen zufliegen. Natürlich bergen die Auftritte des putzigen Vierbeiner die Gefahr, dass die entsprechenden Szenen alles andere in den Schatten stellen, aber die Regisseurin ist erfahren genug, um dem vorzubeugen: Auch diese heiteren Momente sind wunderbar harmonisch in die Handlung integriert und sorgen im Zusammenspiel mit Farbgebung, Lichtsetzung und vielen sympathischen Einfälle am Rande für rundum gelungene Unterhaltung mit Anspruch.