Ausnahmezustand. Auch wenn das Wort juristisch gesehen in Deutschland gar nicht existiert, trifft es doch am besten die Situation, in der wir uns gerade befinden.
Ausnahmezustand. Grundrechte werden eingeschränkt, von denen wir uns noch vor wenigen Wochen nicht hätten vorstellen können, dass sie überhaupt jemals eingeschränkt werden könnten. Ausgangsbeschränkungen – das gab es in anderen Ländern, aber doch nicht bei uns. Ostern ohne Gottesdienste in den Kirchen – das konnten wir uns nicht vorstellen.
Ausnahmezustand: Das heißt aber auch, dass niemand so genau weiß, was eigentlich gut und richtig ist. Auch die staatlichen Stellen fahren gewissermaßen auf Sicht, nicht alles ist ganz stringent. Ausnahmsweise sind Kirchen, Synagogen, Moscheen und andere Gebetsstätten geschlossen oder es finden zumindest keine Versammlungen dort statt. Ausnahmsweise sind die meisten Geschäfte geschlossen. Und doch sind dann wieder Ausnahmen von den Ausnahmen nötig: Lebensmittelgeschäfte und manche andere bleiben natürlich offen. Und zu den Ausnahme-Überlegungen gehörte auch der erst einmal sinnvoll anmutende Gedanke, die Öffnungszeiten sogar zu verlängern: Länger am Abend und auch am Sonntag- und Feiertag, damit die Einkaufenden sich auf einen größeren Zeitraum verteilen und sich nicht so leicht infizieren.
Doch nun kommen die Osterfeiertage. Wie wird das werden? Wird es den üblichen Ansturm geben, als ob morgen die Welt untergeht? Wir kennen das ja schon aus den normalen Jahren. Wie wird der Ausnahmezustand im Ausnahmezustand funktionieren? Sollten die Märkte tatsächlich länger und an den Feiertagen öffnen, um das in den Griff zu bekommen?
Kein Aufrechnen
Aber: Öffnung der Läden an Karfreitag und Ostersonntag? An den höchsten kirchlichen Feiertagen sollen die Läden geöffnet sein, die Kirchen aber zu? Das scheint mir, selbst im größten Ausnahmezustand, doch eine gewaltige Schieflage zu sein. Ich verstehe durchaus die Beweggründe dahinter. Dass es darum geht, eben gerade diesen Ansturm von Einkaufenden zu vermeiden. Und trotzdem glaube ich, dass es auch ohne gehen sollte und auch ohne gehen kann.
Dabei geht es mir gar nicht so sehr darum, das aufzurechnen: Kirchen zu, Geschäfte geöffnet. Das wäre zwar ein gewaltiger Einschnitt in Deutschland, gegen den ich mich auf Dauer auch wehren würde, doch die Christen in manchen anderen Ländern kommen auch damit klar. Im Ausnahmezustand müssen wir an allererster Stelle dafür Sorge tragen, dass den Menschen geholfen wird, und unsere eigenen Befindlichkeiten zurückstellen.
Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den Sabbat, so sagte es Jesus (Markus 2,27) Ich finde, das ist auch eine gute Richtlinie dafür, in diesem Ausnahmezustand zu fragen, welche Regelungen gut sind und welche nicht: Welche Regelung ist für die Menschen da? Welche hilft ihnen, welche nicht? Ganz einig werden wir uns nicht werden, denn Menschen setzen unterschiedliche Schwerpunkte.
Sollen beispielsweise Gottesdienste in den Kirchen weiter ausfallen? Um der Menschen willen: Ja. Alle Beteuerungen, man halte doch Abstand, werden da nach meiner Erfahrung nichts nutzen. Die Rituale sind zu eingefahren. Selbst, wenn beispielsweise nur jede zweite Kirchenbank „geöffnet“ ist und dort die Plätze in weitem Abstand eingenommen werden: Am Ein- und Ausgang stehen die Leute dann doch zusammen, unterhalten sich, vergessen die Abstandsregeln. Und gerade in die Gottesdienste kommen doch viele ältere Menschen und damit besonders gefährdete. Um der Menschen willen sollten wir daher für eine begrenzte Zeit weiter nicht zu Gottesdiensten einladen – selbst dann nicht, wenn die katholische Gemeinde in Berlin, die gerade ihr Recht auf Gottesdienst einklagt, vor Gericht Recht bekommen sollte. Es geht um die Gesundheit und das Leben der Menschen. Wir finden andere Wege. Fernseh-, Radio-, Internet- und Lesegottesdienste und manches mehr. Es geht schon mal, ausnahmsweise, irgendwie.
Sollen Geschäfte länger öffnen, um die Zahl der Einkaufenden zu entzerren? Nach meiner Beobachtung ist das bisher gar nicht nötig – und die wenigsten Märkte machen von dieser Möglichkeit überhaupt Gebrauch. Mag sein, dass das in der Großstadt anders ist, im eher ländlichen Raum, in dem ich wohne, habe ich keinen Markt gefunden, der länger öffnet. Eher gibt es dann Kontrollmechanismen, um die Zahl der Menschen, die sich im Gebäude aufhalten, zu beschränken. Unser örtlicher Marktleiter meinte zu mir: Er hätte ja gar nicht das Personal, um länger zu öffnen. Außer, er dürfte irgendwann nur noch 20 Personen in den Laden lassen – dann könnte er auf Schichtbetrieb umstellen, weil er dann auch nicht mehr so viele Mitarbeitende gleichzeitig benötigen würde.
Der Sabbat, also der Feier- und Ruhetag ist für die Menschen da. Nicht alle werden ihn einhalten können. Gerade das klinische Personal und die pflegenden Berufe werden kaum eine Pause machen können. Doch den vielen Mitarbeitenden in den Lebensmittelmärkten, den Zulieferbetrieben und so weiter, die in den letzten Wochen bis an ihre Belastungsgrenze gegangen sind, denen sollten wir diese Tage unbedingt gönnen.
Wichtige Erholung
Der Feiertag ist für die Menschen da. Diesmal ganz besonders für diese, die die letzten Wochen bis zur Erschöpfung gearbeitet haben und auch manchen Frust abgekriegt haben, für den sie gar nichts konnten. Auch für die unter ihnen, die gar keine Christinnen und Christen sind. Erholung ist nötig und wichtig und unsere Feier- und Ruhetage sind eine große Errungenschaft, die es nicht in jedem Land gibt. Gönnen wir diese Ruhetage denen, die sie brauchen, und planen wir unsere Einkaufstouren halt so, dass wir nicht unbedingt zu den absoluten Stoßzeiten in die Lebensmittelmärkte kommen. Dann geht das auch weiterhin mit Ruhe an den Sonn- und Feiertagen. Für die Menschen. Denn für die sind die Feiertage gemacht.