Frankfurt a.M. (epd). Zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte können die Menschen in Deutschland an Ostern keine Gottesdienste in Kirchen feiern. Wegen der Corona-Pandemie werden bundesweit Gottesdienste nur ohne Gemeinde stattfinden. Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig hält dies trotz der vorübergehenden Beschneidung der Religionsfreiheit für gerechtfertigt. Hingegen fordert der frühere ZDF-Moderator Peter Hahne, die Kirchen trotz der Corona-Krise an Karfreitag und Ostern zu öffnen.
Die Landeskirchen und Bistümer werden fast alle Osterfeiern live im Internet oder im Rundfunk übertragen, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den 20 evangelischen Landeskirchen und 27 katholischen Bistümern in Deutschland ergab. Die Rückmeldungen aus 42 der 47 angefragten Landeskirchen und Bistümer sind eindeutig: Nirgends fallen Gottesdienste wegen des Coronavirus aus.
Ostern ist das höchste Fest der Christenheit, Christen feiern dann die Auferstehung von Jesus Christus. Viele Rundfunkanstalten übertragen am Ostersonntag Gottesdienste leitender Geistlicher. Auch viele Ortsgemeinden bieten Online-Gottesdienste an, die man etwa über die Internetseite www.kirchevonzuhause.de finden kann.
Nach Auffassung des Kirchenrechtlers Heinig stellt das temporäre Verbot, sich zu Gottesdiensten zu versammeln, zwar einen "besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff" dar. Ohne die massive Intervention in das öffentliche Leben würden aber angesichts der exponentiellen Ausbreitung des Virus das Gesundheitssystem in kürzester Zeit zusammenbrechen und Hunderttausende Menschen sterben, legte der Professor für Öffentliches Recht und Kirchenrecht an der Universität Göttingen in einem Beitrag für das Magazin "Zeitzeichen" dar.
Für die Kirche sei es daher ebenso schmerzhaft wie richtig, zum Schutz des Gemeinwesens für einige Wochen auf gottesdienstliche und andere kirchliche Versammlungen zu verzichten, argumentierte der Jurist, der auch Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. "Es geht um die Verhinderung eines ungehinderten Massensterbens", sagte Heinig der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Klassische Ostergottesdienste zu feiern, halte er daher für "lebensfremd".
Auch der hannoversche Landesbischof Ralf Meister hält die Schließung von Kirchengebäuden während der Corona-Pandemie für unausweichlich. Im Falle einer Öffnung bräuchten die Kirchen viel Personal, um alle Schutzmaßnahmen gewährleisten zu können, sagte der evangelische Theologe der in Hannover erscheinenden "Neuen Presse" (Samstag).
Der frühere ZDF-Moderator Hahne forderte hingegen, trotz der Corona-Krise an Karfreitag und Ostern die Kirchen zu öffnen. "Getränkemärkte haben auf, das Gotteshaus nicht. Wem wollen Sie das erklären?", sagte der Bestsellerautor und Theologe der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Sonntag/online). Eine solche Öffnung ließe sich mit einfachen Mitteln sicher gestalten: "mit Abstand, wie im Supermarkt". Jede Gemeinde solle selbst entscheiden, wie sie verfahren wolle.
Hahne, der von 1992 bis 2009 Mitglied des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) war, warf der Kirchenführung vor, bereitwillig klein beigegeben zu haben. "Noch bevor der Staat mit Verboten kam, haben sich die Kirchen selbst schon in vorauseilendem Gehorsam geschlossen." Für eine begrenzte Öffnung von Kirchen zum persönlichen Gebet hatte zuvor auch die Theologin und frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann plädiert.
Nach geltender Gesetzeslage ist eine Öffnung von Kirchengebäuden zum stillen Gebet im Grundsatz möglich. Viele katholische Kirchen und einzelne evangelische Kirchen wie der Bremer Dom verfahren so. Teilweise sind die Öffnungszeiten eingeschränkt, und ein Mindestabstand ist einzuhalten. Zudem müssen bestimmte Hygiene-Standards gewährleistet sein. Viele evangelische Landeskirche empfehlen ihren Gemeinden trotzdem, die Kirchengebäude wegen der Ansteckungsgefahr geschlossen zu halten.
epd hei/lnb jup