München (epd). Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier warnt vor den Folgen der Corona-Krise für die Grundrechte. Er sehe derzeit die Gefahr einer "Erosion des Rechtsstaats", sagte er der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag). Kurzfristig habe er zwar keine Bedenken wegen der Einschränkungen des Alltags, da es dazu aktuell keine Alternative gebe. "Aber wenn sich das über eine längere Zeit hinzieht, dann hat der liberale Rechtsstaat abgedankt", sagte Papier. "Das gilt es zu verhindern."
Auf Dauer könnten die flächendeckenden Restriktionen nicht hingenommen werden, sondern sie müssten befristet sein, betonte der Jurist: "Politik und Verwaltung müssen immer wieder prüfen, ob es weniger einschneidende Maßnahmen gibt." Es müsse alles getan werden, um Art und Ausmaß der Gefahren genauer einzugrenzen.
Mit Blick auf eine mögliche Überlastung von Intensivstationen warnte Papier davor, jüngere, gesündere Patienten zu bevorzugen. "Leben darf nicht gegen Leben abgewogen werden", sagte er. Jedes Leben sei gleichrangig, gleich wertvoll und genieße den gleichen Schutz. Eine Abwägung nach dem Motto "Diese Person ist ja früher oder später ohnehin dem Tode geweiht" sei mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar.
Angesichts drastischer Auswirkungen auf kleine Geschäfte mahnte der frühere Verfassungsgerichtspräsident (2002-2010) Regeln für eine Entschädigung von Unternehmen an. "Die Unternehmensinhaber sind ja nicht betroffen, weil sie weil sie krankheits- oder ansteckungsverdächtig sind", sagte er. "Ich frage mich: Muss hier nicht eine gesetzliche Ausgleichsregelung her?" Man müsse darüber diskutieren, ob solche staatlichen Eingriffe in das Eigentum oder in die Berufsfreiheit durch gesetzliche Ausgleichsansprüche abzufedern seien.