Vermutlich ist Karfreitag der allgemein unbeliebteste christliche Feiertag. Nicht lange ist es her, da wurde vielerorts über die Berechtigung eines Tanzverbotes am Karfreitag gestritten. Wie weit weg erscheint doch in diesem Augenblick die Aufregung um den einen veranstaltungsfreien Tag im Jahr! Konzerte sind ohnehin seit Wochen verboten, Bars auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Einschränkungen, die wir durch die Corona-Pandemie in Kauf nehmen müssen, gehen weit über das bekannte Karfreitagsritual hinaus.
Karfreitag ist ein Trauertag, der Christ*innen an das noch immer in der Welt vorhandene Leid erinnert. In diesem Jahr jedoch scheint diese Erinnerung gar nicht nötig zu sein. So informiert uns beispielsweise der Livestream der Tagesschau durchgehend über die schnelle Ausbreitung des Coronavirus, wir haben Angst um unsere Gesundheit und um das Leben geliebter Menschen, Angst vor großen Veränderungen und Angst vor Einsamkeit. Das Leid, das das Coronavirus auslösen kann, steht uns seit Wochen vor Augen. Es scheint, als sei der Karfreitag in diesem Jahr auf unbegrenzte Zeit verlängert. Wir können nicht tanzen, uns nicht versammeln, nicht miteinander feiern. Und wir wissen nicht, wann diese Beschränkungen unseres Alltages aufgehoben werden.
Christin*innen bedenken am Karfreitag das Leid der Welt und das Leid Gottes. Es ist der Tag der Kreuzigung Jesu. Die Kirche erinnert sich heute an Jesu Festnahme in Jerusalem, die Demütigungen durch die Soldaten, die grausame Folter am Kreuz und seinen Tod zur neunten Stunde auf Golgatha. Am Karfreitag ist Jesus Christus, der Hoffnungsträger einer neuen Bewegung, der Verkünder des anbrechenden Reiches Gottes auf die denkbar schrecklichste Weise ermordet worden. Das Kreuz war im Römischen Reich ein Folterinstrument, vorgesehen für aufständische Nichtrömer. Wenn ich mir das bewusst mache, erstaunt es mich immer wieder, dass ein Symbol der Folter in der Mitte unserer Altäre steht, jeden Tag, nicht nur am Karfreitag.
Jahr für Jahr stellen Christ*innen sich die Frage, die auch Jesus selbst am Kreuz herausschreit: Warum, Gott? Warum musste Jesus leiden? Die christliche Theologie ist seit ihren Anfängen bemüht, die Notwendigkeit des Todes Jesu verständlich zu machen. Nicht immer helfen diese Erklärungsansätze uns weiter, vermutlich werden wir die Frage nach dem Warum nie gänzlich beantworten können. In diesem Jahr scheint mir zum Tod Jesu vor allem eines wichtig zu sagen: Gott handelt in unserer Welt, doch er tut es anders, als wir erwarten. Er wird Mensch, erniedrigt sich selbst, macht sich verletzlich, wird ohnmächtig. Und eben durch diese verwundbare Menschlichkeit, die er annimmt, kommt er uns nah. Gott kennt unsere Angst und unser Leid, weil er in Jesus Christus selbst gelitten hat. Er kennt auch den Tod, weil er selbst gestorben ist, hinabgestiegen in das Reich des Todes. So kann der Kreuzestod Jesu für uns zumindest dies bedeuten: Dass Gott uns die Gewissheit schenkt, mit unserer Angst und unserem Leid nicht allein zu sein.
Wir wissen, dass Leid und Tod in der Ostergeschichte nicht das letzte Wort behalten. Das Kreuz auf dem Altar, es ist eben nicht nur ein Symbol des Leids, sondern auch der Auferstehung. Wir feiern am Ostersonntag, dass Gott die Schranken des Todes überwunden hat. Wann die Maßnahmen, die uns zurzeit beschränken, aufgehoben werden, wissen wir nicht. Wir werden auch übermorgen am Ostersonntag mit der Angst vor Corona konfrontiert sein. Wir werden einander nicht im Gottesdienst begegnen, nicht am Osterfeuer zusammenstehen, kein Osterfrühstück in großer Runde feiern. Menschen werden sich auch am Sonntag mit dem Virus infizieren, auf den Intensivstationen werden Menschen um ihr Leben bangen. Wir wissen nicht, wie lang diese Krise noch geht. Wir wissen nicht, wann endlich Ostern wird. Doch in all dem Leid dürfen wir auf Eines vertrauen: Dass Gott bei uns ist, auch im Leiden und im Tod.