Daniel Rothe und seine Frau sind sehbehindert. "Gewisse Dinge können wir noch selbst erledigen", erzählt er. Doch in der aktuellen Lage mit den Ausgangsbeschränkungen sei es schon nicht mehr so einfach mit der Selbstständigkeit. "Es ging uns eher darum, jemanden im Hintergrund zu haben, wenn es ein Problem gibt", sagt Rothe. Dann liest er in der Zeitung von der Stiftung "Ecken wecken", nimmt Kontakt auf - und hat wenige Stunden später eine freundliche Frau aus der Nachbarschaft am Telefon, die ihre Hilfe anbietet. "Ich finde es super, dass es so was gibt", freut sich Rothe.
Seinen Ausgang nahm das Projekt am 15. März mit einer Rundmail der Stiftung "Ecken wecken". Bis Donnerstagabend sind dem Aufruf rund 750 Freiwillige quer durchs Stadtgebiet gefolgt, um in der Corona-Krise Nachbarn zu helfen. Die meisten bieten an, für andere einkaufen zu gehen. Das Prinzip ist bestechend einfach: Wer Hilfe sucht, kontaktiert die Stiftung, wer helfen will ebenfalls - und die Stiftung bringt beide Seiten wohnortnah zusammen.
Noch ist das Angebot relativ unbekannt
"Unterstützungsleistungen, die kontaktintensiver sind, wie Kinderbetreuung oder Lernhilfe, dürfen wir nach Rücksprache mit dem Gesundheitsamt inzwischen nicht mehr anbieten", erklärt Stiftungsvorstand Thorsten Mehnert. Grund sind die seit Wochenbeginn geltenden Kontaktbeschränkungen.
Die Zahl derer, die die Hilfe nachfragen, ist bisher vergleichsweise niedrig. Am Freitagmorgen lag sie bei 39. Mehnert stört das nicht - schließlich könne das auch bedeuten, dass viele Bedürftige gesellschaftlich gut eingebunden sind und schon genug Unterstützung aus dem sozialen Umfeld erfahren.
Dennoch: Eine der größten Herausforderungen bleibt, das Angebot publik zu machen. Zwar sind alle Freiwilligen aufgerufen, in sozialen Medien zu werben und öffentliche Aushänge zu machen. Doch ob das reicht, ist fraglich; vermutlich gehen viele Ältere - das sind knapp zwei Drittel der Hilfesuchenden - oder Vorerkrankte (gut ein Drittel, dazu fünf Prozent Alleinerziehende) kaum noch vor die Tür, tummeln sich wohl auch nicht regelmäßig auf Twitter oder Facebook.
Verwandte suchen für Angehörige HIlfe
Darauf deutet auch hin, dass bisher die meisten Hilfsgesuche "von extern" kamen, wie Mehnert sagt: "Das sind besorgte Verwandte von außerhalb, die anrufen und sagen, meine Tante oder meine Oma lebt in Leipzig und ich kann hier nicht weg, was passiert denn jetzt mit denen?" Inzwischen hat die Stiftung eine eigene Telefon-Hotline geschaltet.
Heike Petsch hat selbst aktiv im Internet nach Hilfe gesucht. Die 56-Jährige lebt allein, leidet an chronischer Bronchitis und hat ihre Wohnung aus Sorge vor einer Corona-Infektion seit zwei Wochen nicht verlassen. Kurz nach der Kontaktaufnahme mit der Stiftung meldete sich eine Dame aus der Nachbarschaft und ging für sie einkaufen. "Ich bin überwältigt, dass das so gut funktioniert", sagt Petsch.
Dass es der Stiftung so schnell gelungen ist, das Hilfssystem zu etablieren, liegt daran, dass Nachbarschaftsprojekte ihr Kerngeschäft sind - "und dass wir seit Jahren auf Digitales setzen", erklärt Mehnert. So ist der Bürgerbahnhof Plagwitz, ein buntes Experimentierfeld, genauso ein Kind der Stiftung wie die Web-Plattform "depot leipzig" für selbst organisiertes Teilen von Ressourcen oder Transportmitteln. Netzwerk, Verteiler, Engagierte - all das war also schon da und musste nur aktiviert werden.
"Auch für Kirchgemeinden könnte das spannend sein"
Sein Wissen zu Aufbau und Nutzung digitaler Infrastruktur will Mehnert nun gerne weitergeben, am besten im ganzen Land. Er hat bereits Kontakt zum Bundesverband Deutscher Stiftungen aufgenommen und sagt, alles was er brauche, sei Geld von großen Stiftungen sowie Menschen, die sich mit der Management-Software Drupal auskennen.
"Wir haben in unserer Datenbank den Kontakt sämtlicher Bürgerstiftungen. Und auch für Kirchgemeinden könnte das spannend sein", erklärt Mehnert. Laufe alles nach Plan, könne es also schon in wenigen Wochen auch anderswo losgehen mit der schnellen Corona-Hilfe. Die dabei entstehenden Kontakte, betont Mehnert, könnten den Organisatoren indes noch sehr hilfreich sein - und nachbarschaftliches Engagement auch über die Pandemie hinaus befördern.