Diakon Dirk Hartung aus Osnabrück setzt sich an seinen Schreibtisch und nimmt den Füller mit der goldenen Feder zur Hand. Täglich schreibt er seit einigen Tagen Postkarten, mit der Hand versteht sich. Mehr als 50 hat er schon in Umschläge getütet und verschickt - immer mit dem passenden Motiv. "Ich habe eine Sammlung mit Toskana-Karten", sagt der 62-Jährige, der in Osnabrücks größter evangelischer Kirchengemeinde die Seniorenarbeit leitet: "Die gehen an diejenigen, die eigentlich bei einer Toskana-Freizeit dabei sein wollten." Eigentlich - vor der Corona-Krise.
Rund 300 Seniorinnen und Senioren kommen regelmäßig zu Hartungs Angeboten ins Gemeindehaus: "Runter vom Sofa, ab in die Seniorenakademie", lautet normalerweise sein Motto. In der Corona-Krise aber sollten die Menschen zu Hause bleiben. Doch längst nicht alle Ältere seien mit dem Internet, mit E-Mails und den sozialen Medien vertraut. "Darum mache ich es jetzt wie früher und schreibe, um in Kontakt zu bleiben", erzählt der Diakon. Wie Hartung bemühen sich derzeit viele Pastorinnen, Diakone und Ehrenamtliche, Menschen nicht allein zu lassen, für die sonst Angebote der Kirche auch wichtige soziale Kontakte bedeuten.
"Was soll ich jetzt eigentlich machen?"
Die Lüneburger Diakonin Antje Stoffregen und viele Kollegen greifen dafür zum Hörer: "Wir rufen Menschen an, die sonst zu uns ins Haus kommen", sagt Stoffregen. Im Paul-Gerhardt-Haus und bei der Kindertafel ihrer Gemeinde sind das vor allem ehrenamtlich Mitarbeitende und Senioren, darunter Menschen, die alleine leben. "Eigentlich würden wir uns heute zum Spielenachmittag sehen", ist dann etwa ein guter Aufhänger für ein Telefonat. "Die Menschen suchen die Gelegenheit, das was aus dem Fernsehen auf sie einprasselt, auch mal mit jemandem zu besprechen", hat die Diakonin beobachtet. "Es gibt so viel Information und soviel Aktion. Da fragen sich viele: Was soll ich jetzt eigentlich machen?"
Auch die Besuchsdienstarbeit, in der sich allein in der hannoverschen Landeskirche rund 10.000 Ehrenamtliche in 1000 Gruppen engagieren, rät dazu anzurufen, statt wie sonst zu Geburtstagen zumeist zu Älteren ins Haus zu kommen. "Wir müssen beide Seiten schützen - die Besuchten und unsere Ehrenamtlichen, von denen die meisten über 60 Jahre alt sind", erläutert die landeskirchliche Referentin für den Besuchsdienst, Helene Eißen-Daub.
Pastorin Iris Junge, die im Kirchenkreis Uelzen die Besuche koordiniert, sieht erst den Anfang bei der seelischen Unterstützung per Telefon. "Bisher bin ich angenehm überrascht, dass die meisten es über die Familie, Freunde und Nachbarn schaffen, sich zu versorgen, ohne aus dem Haus zu gehen", sagt Junge. Doch es könnten sich noch viele Ängste aufbauen, je länger die Krise dauere. Menschen, die ohnehin viel allein seien, litten mehr als sonst darunter: "Jetzt wissen sie, dass sie keinen Besuch bekommen können."
Angebote der Krisen-Hilfe wie die Telefon- und Chat-Seelsorge sind in diesen Tagen deutlich mehr gefragt als sonst. Bei neu eingerichteten Hotlines und Anrufdiensten, wie sie etwa der Kirchenkreis Hittfeld oder der Bremer Dom initiiert haben, gehen dagegen bisher vergleichsweise wenige Anrufe ein: "Die Menschen haben noch ein kleines Nervenpolster", sagt Dompastor Henner Flügger. Doch verstärke sich das Empfinden, abgeschnitten zu sein. "Da kriechen Ängste und Gedanken allmählich die Beine hoch." Die Domgemeinde St. Petri lädt ein, unter der Telefonnummer 0421/3650-415 eine Nachricht zu hinterlassen, um dann angerufen zu werden.
Im Kirchenkreis Hittfeld bei Hamburg sind unter dem Motto "inKontakt" täglich von 16 bis 19 Uhr zwei Pastorinnen oder Pastoren unter der kostenlosen Nummer 0800/8070444 zu erreichen. Noch sei auch dort die Resonanz nicht wie erwartet. "Doch wir wollen dranbleiben und das über Handzettel weiter verbreiten", sagt Pastorin Caroline Warnecke. Sie rechnet mit steigendem Bedarf, "wenn erst einmal heruntersackt, was gerade geschieht".
Diakon Hartung greift zur Jugendstilkarte für die Dame, die Kunst so liebt, wie er selbst. "Ich habe beim Schreiben ein Bild von den jeweiligen Adressaten vor dem Auge", sagt er. "Mir fehlen die Leute ja auch." Umso mehr freut ihn: "Ein paar haben schon zurückgeschrieben."