Aber wird man nicht die Hand ausstrecken unter Trümmern und nicht schreien in der Not? Weinte ich nicht über den, der eine schwere Zeit hat, grämte sich meine Seele nicht über den Armen? Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf Licht, und es kam Finsternis. In mir kocht es und hört nicht auf; mich haben überfallen Tage des Elends. Ich gehe schwarz einher, doch nicht von der Sonne; ich stehe auf in der Gemeinde und schreie. Ich bin ein Bruder der Schakale geworden und ein Geselle der Strauße. Meine Haut ist schwarz geworden und löst sich ab von mir, und meine Gebeine sind verdorrt vor hitzigem Fieber. Mein Harfenspiel ist zur Klage geworden und mein Flötenspiel zum Trauerlied.
(Hiob 30,24–31)
Liebe Fastengemeinde in Zeiten von Zuversicht und von Corona,
es ist schlimmer geworden. Vor 14 Tagen schrieb ich Ihnen noch: Gehen Sie raus! Gehen Sie in Gottesdienste! Jetzt ist dieser Rat kein guter mehr. Versammlungen oder auch nur Besuche sind im Moment zu meiden. Wir fasten unfreiwillig Nähe. Freiwillig wollen wir Pessimismus fasten, und das fällt uns täglich schwerer.
Und zu all den Hiobsbotschaften kommt heute auch noch ein Text aus dem Buch Hiob auf uns zu. Kann ausgerechnet Hiob dabei helfen, Zuversicht zu üben? Die Worte Hiobs klingen vielmehr nach enttäuschter Hoffnung: „Ich wartete auf das Gute, und es kam das Böse; ich hoffte auf Licht, und es kam Finsternis.“ Es ist schlimmer geworden, schlimmer gekommen, als ich gehofft hatte.
Man muss schon sehr genau hinschauen, um bei Hiob ein Zeichen der Zuversicht zu finden. Hiob ist zum Spielball eines Experiments zwischen Gott und dem Satan geworden. Die beiden wollen sehen, ob der als ausgesprochen fromm geltende Hiob wohl von Gott ablässt, wenn ihm ein Unglück geschieht. Also nehmen sie ihm nach und nach alles, was er hat und was im lieb ist. Nichts davon ändert etwas daran, dass Hiob sich zu Gott hält. Selbst als er schwer krank wird, sagt er noch: „Haben wir Gutes empfangen von Gott und sollten das Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 2,10) Doch es wird eben schlimmer. Drei Freunde kommen Hiob besuchen und zunächst tun sie das Richtige. Sie reden sieben Tage lang kein Wort, sondern sind einfach da bei ihm. Doch dann versuchen sie, Hiob sein Unglück zu erklären. Und immer läuft es darauf hinaus, dass Hiob Gott gegenüber etwas falsch gemacht haben muss, wenn ihm solches Unglück geschieht.
Hiob wehrt sich dagegen, und sein Ton wird immer heftiger. Er ist sich keiner Schuld bewusst und fordert Gott zu einem Rechtsstreit heraus. Für Hiob ist klar: Gott tut ihm unrecht. Gott dürfte ihm kein Leid zufügen. Kapitel um Kapitel streiten sich die Freunde und Hiob, bis schließlich Gott selbst zu Hiob spricht. Und was er zu sagen hat, lässt Hiob vor allem eines erkennen: Gott kann eben doch alles tun, was er will. Das ist der Unterschied zwischen Mensch und Gott. Doch dann geschieht noch etwas Interessantes: Ganz am Schluss des Buches bekommt Hiob das, was er verloren hat, zurück, und zwar doppelt: „Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.“ (Hiob 42,10) Das kann einem als willkürliche Wiedergutmachung Gottes erscheinen, aber schon den Rabbinern ist aufgefallen, dass „das Doppelte“ genau das ist, was jemand zahlen muss, wenn er einen Diebstahl begangen hat (nach Exodus 22,3.8). Anscheinend kann Hiob einerseits nicht gegen Gott gewinnen, andererseits entschädigt ihn Gott mit einer Summe, die sagt: Ich habe dich bestohlen.
Ganz am Ende wird es also wieder besser bei Hiob. Aber bis es so weit kommt, bleibt Hiob hartnäckig. Beinahe verbissen hält er sich an Gott, fordert ihn auf, sich zu zeigen, streitet mit ihm, schimpft zu ihm. Darin steckt Hiobs Zuversicht, dass er beharrlich bleibt. Es ist dieselbe Haltung, die Paulus in seinem Brief an die verfolgte Gemeinde in Rom schreibt: „Bedrängnis schafft Ausdauer, Ausdauer aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.“ (Röm 5,3f., Zürcher Bibel) Zuversicht bewährt sich nicht nur in Notzeiten, sie kann im Leid entstehen.
Der Hiob-Text für diese Woche gibt uns in Sachen Zuversicht zweierlei: Zum einen gibt er uns einen Auftrag: Bleibt beharrlich! Zum anderen gibt er uns eine Erlaubnis: Ihr müsst nicht befürchten, dass ihr Gott zu nahe tretet, wenn ihr ihm euer Leid klagt. Das könnt ihr wieder und wieder tun, so lange, bis es wieder besser wird.
Darum lautet meine Wochenaufgabe diesmal so: Reden Sie sich die gegenwärtige Situation nicht schön! Wir alle sind herausgefordert und müssen uns auf die eine oder andere Weise bewähren. Erlauben Sie sich, traurig zu sein über all das, was Sie gerade verlieren. Erlauben Sie sich, Gott all das zu klagen! Und bleiben Sie geduldig dabei. So schwer es auch sein mag: Geduldig wie Hiob zu sein, ist gerade unser aller Aufgabe.
Zum Austausch in den Social Media nutzen Sie in dieser Woche unseren Hashtag #ohnestillhalten.
Gott behüte und segne Sie!
Ihr Frank Muchlinsky