Wer hätte das gedacht? Gott straft die Menschen für das, was man selbst schon immer für falsch hielt: China wird bestraft für den Umgang mit den Uiguren, die Europäer werden für ihre offenen Grenzen bestraft und natürlich bestraft Gott mit Corona die LBGTQ*-Gesellschaften, weil – na ja, darum!
Aber es sind nicht nur die Frommen, die gern mit dem Gedanken göttlicher Rache spielen. Die Anti-Kleriker sind auch schon richtig heiß darauf, dass irgendwo jemand die Behauptung äußert, Corona sei eine Strafe Gottes. Dann können sie ihr höhnisches Grinsen für einen Moment unterbrechen und ihren Lieblingssatz sagen: "Und an einen solchen Gott glaubt ihr?" Tun wir nicht, aber versuch das mal einem selbsternannten Humanisten beizubringen.
Eine Strafe gibt's für etwas, das jemand falsch gemacht hat. Normalerweise bestraft man dann diejenigen, die Schlimmes getan haben. Aber die "Corona ist eine Strafe Gottes"-Leute gehen davon aus, dass Gott mal eben die gesamte Menschheit kollektiv bestraft für die angeblichen Fehler von einigen. Oder glaubt jemand ernsthaft, dass Corona einen Bogen um traditionell schwulenfeindliche Staaten wie Polen, Russland oder Uganda machen wird? Man könnten argumentieren, dass Gott bei all der Omnipräsenz und in seinem heiligen Zorn überfordert ist, zielgenau zuzuschlagen, aber das wäre ja zynisch. "Aber die Sintflut!" höre ich es rufen. Da rufe ich zurück: Ja, und was hat Gott danach gesagt? "Das mach ich niemals wieder!"
Wer so denkt, möchte gern bestraft werden
Ich bin mir sicher: Der einzige Hinweis auf eine Strafe ist die Sehnsucht Einiger danach, endlich bestraft zu werden. Diejenigen, die anderen die Schuld geben, lieben nichts mehr, als wieder Opfer für etwas zu sein, an dem sie selbst keinerlei Verantwortung tragen. Diejenigen, die die Schuld bei sich selbst sehen, wünschen sich bestraft zu werden, damit sie mit großen Augen um Verzeihung bitten können. Sie haben gelernt, dass es mit einem "Ich hab's nicht so gemeint" wieder gut wird. Sie haben gelernt, dass sie sich, wenn man ihnen verzeiht, nicht ändern müssen.
Das ist der Fehler beim Strafe-Gedanken: Strafen müssen nicht unbedingt etwas mit der Tat zu tun haben, für die man bestraft wird. Wer falsch parkt, dem wird zur Strafe kein Auto in den Vorgarten gefahren. Auch die biblischen Strafen Gottes sind nicht immer mit dem biblischen Auge- um Augenmaß gemessen. Für Vergewaltigung in der Stadt Sodom gibt's Feuer vom Himmel. Wer Corona zur Strafe erklärt, zieht sich aus der Verantwortung, anständig mit der Situation umzugehen, weil er die Zusammenhänge leugnet, die es ja durchaus gibt. Wir müssen kritisch über die Globalisierung reden, über den Umgang mit Minderheiten und die Pressefreiheit in China, über das kaputt gesparte Gesundheitssystem überall.
Die Pandemie ist die Folge unserer Lebensweise, und wir tun gut daran, die zu hinterfragen und an mehreren Stellen zu ändern. Das ist viel schwerer, als hier irgendeine Strafe zu sehen, aber leichter geht's nicht!