Pfarrerin Sandra Menzel vor dem „Café International“ in Büchenbeuren.
© Michael Güthlein
Pfarrerin Sandra Menzel vor dem „Café International“ in Büchenbeuren. Seit 2013 setzt sie sich für die Integration von Geflüchteten im Hunsrück ein.
Kirchenasyl unter Druck
Pfarrerin Sandra Menzel und ihre Kollegen im Hunsrück haben seit 2013 immer mal wieder Geflüchtete vor
der Abschiebung geschützt. Der CDU-Landrat hat sie deswegen angezeigt. Wie konnte es so weit kommen?

Am 31. Januar 2019 verlässt Sandra Menzel das Pfarrhaus in Büchenbeuren im Hunsrück, als mehrere Streifenwagen in ihrer Einfahrt halten. Menzel denkt zuerst, die Polizei wolle sie als Seelsorgerin zu einem Notfall mitnehmen. "Hoffentlich nichts mit dem Schulbus“, schießt es ihr durch den Kopf. Dann steigt die Staatsanwältin aus einem Auto und hält ihr einen Zettel unter die Nase: ein Durchsuchungsbeschluss für das Pfarrhaus.

Sie habe sich wie im falschen Film gefühlt, sagt Menzel heute, ein Jahr später. Polizeibeamte durchsuchten ihr Büro, kramten Ordner aus dem Regal, klickten sich durch ihren Computer, lasen ihre Mails, wollten ihr Handy haben. Zur selben Zeit durchsuchte die Polizei vier weitere Hunsrücker Pfarrgemeinden. „Das war eine richtige Razzia“, sagt Pfarrer Christian Hartung aus Kirchberg. Auch sein Büro wurde durchsucht. Landrat Marlon Bröhr hatte die Gemeinden angezeigt.

Die evangelische Kirche in Büchenbeuren. Hier arbeitet Pfarrerin Sandra Menzel. Im Januar 2019 durchsuchte die Polizei die Gemeinderäume.

Es geht ums Kirchenasyl. Um jenen Graubereich zwischen Staat und Kirche, in dem Sichtweisen und Positionen zunehmend unversöhnlich aufeinanderprallen. Es geht um Barmherzigkeit und Gesetze, um Ermessen und Rechtssicherheit. Im Rhein-Hunsrück-Kreis gewähren Kirchengemeinden seit 2013 immer mal wieder geflüchteten Menschen in ihren Räumen Schutz. Doch seit 2013 hat sich die Gesellschaft verändert, Deutschland hat viele Flüchtlinge aufgenommen, die AfD ist in den Bundestag eingezogen, und der Staat hat die Bedingungen für das Kirchenasyl verschärft. Die Kirchengemeinden beklagen, dass rechtliche Spielräume immer weiter eingeschränkt werden und damit auch ihre Möglichkeiten, Menschen in Not aufzunehmen. Dem Landrat gehen die Einschränkungen nicht weit genug. Für ihn bedroht das Kirchenasyl Recht und Ordnung.

Im Frühjahr 2013 stellten sich nach dem Gottesdienst vier Syrer aus Aleppo bei Pfarrerin Menzel vor, sie wollten sich ehrenamtlich engagieren, in ihrer Unterkunft hatten sie nichts zu tun. Im nächsten Winter standen vier Somalier in Flipflops und Pulli vor ihrer Tür und fragten nach warmer Kleidung. Die Gemeinde versorgte sie mit Kleiderspenden, Einheimische und Zugezogene verstanden einander, 2014 eröffneten sie das „Café International“ gegenüber der Kirche. Niemand hatte das geplant, es hat sich ergeben, und so war es auch mit dem Kirchenasyl. 2013 gewährte die evangelische Kirchengemeinde Büchenbeuren zum ersten Mal einem syrischen Mann Schutz vor sofortiger Abschiebung. Er lebte einen Monat in der Sakristei. Damals schrieb der Staat den Kirchen wenig vor, was in so einem Fall zu tun sei. Pfarrerin Menzel gab den Behörden Bescheid und reichte Unterlagen ein, um das Handeln ihrer Gemeinde zu erklären.

Einige Geflüchtete konnten sich Existenzen aufbauen

Kirchenasyl ist kein festgeschriebenes Recht, es basiert allein auf der Hoffnung, dass der Staat die Schwelle der Kirche nicht übertreten wird, um Menschen gegen ihren Willen abzuholen. Es wurde schon vor über 2000 Jahren gewährt, in griechischen Tempeln und im römischen Reich. 1983 nahm der evangelische Pfarrer Jürgen Quandt in Berlin Flüchtlinge in seiner Kreuzberger Kirche auf und belebte in der Bundesrepublik die Tradition neu.

Ende 2014 bewahrten Menzel und ihre Gemeinde zwei Somalier vorerst vor der Abschiebung und brachten sie im Gemeindehaus unter. Im Sommer 2015 nahm auch die Gemeinde Kirchberg von Pfarrer Christian Hartung zwei Somalier auf.

Pfarrer Christian Hartung hält Kirchenasyl für wichtig, damit die Behörden Einzelfälle vor einer Abschiebung noch einmal gründlich überprüfen.

In Büchenbeuren leben rund 2000 Menschen, es ist ziemlich ruhig, nur ab und zu fährt ein Auto die Hauptstraße entlang. Die Häuser sind mit schwarzen Schindeln gedeckt. An diesem Dienstag im Oktober 2019 hängt Nebel über dem Ort und den umliegenden Feldern. Pfarrerin Sandra Menzel hat in der Bücherei im Souterrain des Pfarrgemeindehauses dicke Aktenordner auf den Tisch gelegt, in denen sie den Schriftverkehr mit den Behörden wegen des Kirchenasyls abgeheftet hat. Auch ihr Kollege Christian Hartung ist gekommen. Sie erzählen, wie sie und ihre Gemeinden knapp zwei Dutzend Geflüchteten durch das Kirchenasyl geholfen haben, einige konnten sich hier Existenzen aufbauen. „Der erste Flüchtling hatte es zwischenzeitlich sogar mit einer Bäckerei mit eigenen Angestellten versucht“, sagt Sandra Menzel. Sie hat vereinzelt Hassmails erhalten, ansonsten verliefen die Hilfsaktionen ohne Zwischenfälle und wurden von sehr vielen Kirchenmitgliedern unterstützt.

Einigung auf klares Verfahren

Doch in vielen Regionen Deutschlands geriet das Kirchenasyl ab Herbst 2014 in die Kritik. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière und andere Politiker, vor allem aus der CDU, warfen den Kirchen vor, sie würden sich über das Gesetz stellen und zu viele Menschen ins Kirchenasyl aufnehmen.

2015 trafen sich Bischöfe und Vertreter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Krisengipfel und einigten sich auf ein klares Verfahren: Die Kirchengemeinde muss, wenn sie einen Flüchtling aufnimmt, dies noch am selben Tag an die Behörden melden. Innerhalb von vier Wochen müssen die Pfarrerinnen und Pfarrer ein sogenanntes Härtefalldossier bei der Ausländerbehörde einreichen und darlegen, warum die Behörden den Fall noch einmal überprüfen sollten. Solange die Prüfung läuft – und das kann viele Wochen dauern – darf der Geflüchtete das Kirchengelände nicht ?verlassen und ist darauf angewiesen, dass ihn die Gemeinde versorgt.

Diese Vereinbarung stellte das Kirchenasyl auf eine Art Fundament und bot den Gemeinden eine gewisse Rechtssicherheit. Sie hatten zwar auch jetzt kein gesetzliches Anrecht darauf, Flüchtlinge aufzunehmen, wenn das BAMF zuvor den Asylantrag abgelehnt hatte. Aber die Behörden drückten ein Auge zu, solange sich die Gemeinden an die Spielregeln hielten und die Aufnahme ins Kirchenasyl eine Ausnahme bleiben würde.

Streit um Dublin-Flüchtlinge

Doch wie viele Fälle gelten als Ausnahme? Einer pro Halbjahr? Zehn pro Jahr? Der Konflikt schwelte weiter. Das BAMF und die Innenministerien störte es vor allem, wenn die Kirchen Menschen vor der Abschiebung in ein anderes EU-Land schützen wollten.

Denn im Dublin-III-Abkommen hatten sich die EU-Staaten darauf geeinigt, dass Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen müssen, das sie zuerst betreten haben. Wenn also ein Flüchtling über Italien nach Deutschland kommt, ist Italien zuständig. Entscheidet ein deutsches Gericht, dass es zumutbar ist, den Flüchtling für sein Asylverfahren nach Italien zu überstellen, muss er dorthin zurück. Italien gilt offiziell als sicheres Land. Doch ist es das wirklich?

Menschenrechtsorganisationen und kirchliche Hilfswerke prangern seit Jahren an, dass Flüchtlinge in Italien auf der Straße landen. Auch Gemeindemitglieder aus dem Hunsrück haben Flüchtlinge nach Italien begleitet, um sich ein Bild zu machen. „Wenn wir vor diesem Hintergrund die Bescheide des BAMF lesen, kann ich nur lachen“, sagt Pfarrer Hartung. Es sei „blühender Unsinn“, wenn da stehe: In Italien gebe es keine systemischen Fehler im Asylverfahren. Natürlich sollten in besonderen Ausnahmefällen auch Dublin-Flüchtlinge Kirchenasyl bekommen, sagen Hartung und seine Kollegen. Zum Beispiel Moez Hamid.

Moez Hamid kann dank Pfarrer Wolfgang Jöst und seiner Gemeinde für drei Jahre in Deutschland bleiben und eine Ausbildung machen. Es droht ihm aber noch ein Verfahrenwegen unerlaubten Aufenthalts.

Von Büchenbeuren sind es zehn Autominuten nach Simmern. Moez Hamid und Pfarrer Wolfgang Jöst aus Rheinböllen warten im „Café Friends“, das Geflüchtete und Ehrenamtliche betreiben. An den Wänden hängen Poster mit Sprachbeispielen und Tipps für Behördengänge. Frauen mit Kopftüchern lernen Vokabeln, eine Frau hilft einem jungen Mann bei Deutschübungen. Moez Hamid ist schmächtig und klein, spricht sehr leise auf Deutsch und blickt oft verlegen zu Boden. Er kam aus dem Sudan über Italien nach Deutschland, die Behörden wollten ihn zurück nach Italien schicken. Pfarrer Jöst und seine Gemeinde nahmen ihn ins Kirchenasyl – von März bis Oktober 2018. Gemeinsam haben sie erreicht, dass er eine dreijährige Ausbildung zum Anlagemechaniker für Heizung, Sanitär und Klimaanlagen machen kann. So lange haben ihm die Behörden eine Duldung ausgestellt.

Das Café International in Büchenbeuren, der Treffpunkt, der für die Flüchtlinge gegündet wurde.

Pfarrer Jöst, kariertes Hemd, schwarz-grauer Rauschebart sagt: „Wir sind Christen und halten uns in erster Linie an Gottes Wort. Schon im Alten Testament hat man sich um Flüchtlinge gekümmert.“ Moez Hamid hat sich gefreut, dass ihn die Gemeinde aufgenommen hat, trotzdem war es hart. „Ich habe seit Jahren keinen Kontakt mehr zu meiner Familie im Sudan“, sagt er und kämpft mit den Tränen. Er durfte das Kirchengelände offiziell nicht verlassen, nur dazusitzen und abzuwarten, war schwer zu ertragen. „Ich hatte Angst, dass die Polizei mich nach Italien abschiebt“, sagt er. „Dort habe ich viel erlebt“, flüstert er, mehr möchte er nicht über seine Zeit in Italien sagen. „Moez hat Erfahrungen gemacht, die mit Gewalt und Unterversorgung zu tun haben“, sagt Pfarrer Jöst.

Staat schränkt Freiraum ein

Seit August 2018 müssen Menschen im Kirchenasyl noch länger in den Kirchenräumen ausharren. Damals verschärfte das BAMF mit Zustimmung der Innenminister die Regeln: Die Behörden haben nicht wie bis dahin immer sechs Monate Zeit, um jemanden ins Einreiseland zurückzuschicken, sondern 18 Monate – wenn er oder sie als „flüchtig“ gilt. Schafft es die Behörde in diesem Zeitraum nicht, übernimmt Deutschland das Asylverfahren. Wollen Kirchengemeinden Menschen vor der Abschiebung schützen, reicht es im Zweifel also nicht mehr, sie für ein paar Wochen in der Sakristei wohnen zu lassen, sondern sie müssen deutlich länger, unter Umständen eineinhalb Jahre, für sie sorgen und sie finanziell, seelsorgerlich und psychisch unterstützen. Das kann eine Gemeinde ganz schön unter Druck setzen, viele trauen sich diesen Aufwand nicht zu. Aus Sicht der Kirchen hat der Staat den Freiraum für Barmherzigkeit und Gewissensentscheidungen mit dieser Regelung weiter eingeschränkt.

Aber von dieser Verschärfung war im Mai 2015 noch nicht die Rede, als Marlon Bröhr von der CDU Landrat im Rhein-Hunsrück-Kreis wurde. Die Kreisverwaltung ist in einem Anwesen auf einer kleinen Anhöhe in Simmern untergebracht. Bröhr, geboren 1974, Zahnarzt, schwarzes Sakko, nach hinten gekämmte Locken, empfängt in seinem geräumigen Büro. Das Gespräch im Oktober 2019 dauerte anderthalb Stunden. Seine wörtlichen Aussagen wollte er vor Abdruck dieses Textes allerdings nicht freigeben. Für ihn sei die Sache erledigt, er wolle nach vorne blicken, schrieb er in einer Mail Anfang Februar.

Seine Position zum Kirchenasyl? Im Gespräch mit chrismon im Oktober 2019 hielt er es schlichtweg für überflüssig und illegitim. Es gebe Recht und Gesetz, daran habe man sich zu halten – auch als Pfarrer. Für Ausnahmen seien die Härtefallkommissionen bei den Innenministerien der Länder zuständig.

Abschiebung im letzten Moment verhindert

Auch die AfD wirft den Kirchen vor, rechtsstaatliche Verfahren zu untergraben und Sonderrechte zu beanspruchen. Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte die AfD in Büchenbeuren über 20 Prozent und in Simmern 13,2 Prozent. Mit ihren Anfragen an den Bundestag und die Länderparlamente heizt sie den Konflikt um das Kirchenasyl weiter an und setzt die anderen Parteien unter Druck.

Im Februar 2017 nahmen die Hunsrücker Kirchengemeinden einen Somalier auf. Er hatte behauptet, minderjährig zu sein. Doch ein Jugendamt hatte ihn für volljährig erklärt, die Ausländerbehörde wollte ihn abschieben. Im Mai 2017 spitzte sich die Situation zu. Die Behörde forderte ihn auf, binnen einer Woche eine Geburtsurkunde aus Somalia vorzulegen und sich für die Abschiebung bereitzuhalten. Doch wie sollte er in so kurzer Zeit aus Somalia eine Urkunde herbekommen? „Das ist utopisch“, sagt Pfarrer Hartung. Zur selben Zeit holte die Polizei in Ludwigshafen eine ägyptische Familie aus dem Kirchenasyl.

Hartung und seine Kollegen befürchteten das Schlimmste und informierten die ­Medien. Im letzten Moment untersagte das Integrationsministerium der Ausländerbehörde die Räumung des Kirchenasyls. Nach der Eskalation vereinbarten Vertreter der Landesregierung und der Kirchen, künftig in solchen Situationen erst einmal miteinander zu sprechen und den Konflikt anders zu lösen. Kurz darauf kam die gewünschte Geburtsurkunde an, der Junge war tatsächlich minderjährig und konnte das Kirchenasyl verlassen.

Unversöhnliche Positionen

Nach langen Diskussionen im Kirchenvorstand, nachdem sie Chancen, Risiken und Kosten abgewogen hatten, entschieden sich die Kirchengemeinden im Rhein-Hunsrück-Kreis im April 2018, erneut neun Flüchtlinge aus dem Sudan aufzunehmen. Jetzt reichte es Landrat Bröhr. Die Kreisverwaltung forderte die Pfarrer auf, das Kirchenasyl zu räumen. Doch zum in Kirchberg-Kappel anberaumten Ternim trat statt des dort aufgenommenen Geflüchteten Pfarrer Hartung auf die Straße. Er teilte den Mitarbeitern der Ausländerbehörde mit, der Mann werde der Aufforderung nicht Folge leisten. Nach 20 Minuten zogen die Sachbearbeiter und die Polizisten wieder ab.

CDU-Landrat Marlon Bröhr in seinem Büro in der Kreisverwaltung in Simmern. Kirchenasyl hält er für unnötig:  In Ausnahmefällen seien die Härtefall-kommissionen zuständig.

Im Juni 2018 treffen sich Landrat Bröhr, Pfarrerin Menzel, Pfarrer Hartung zum Krisengipfel – und beharren auf ihren Positionen: Bröhr verweist auf Recht und Gesetz. Die Pfarrer verweisen auf den juristischen Ermessensspielraum. Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium schlägt eine Mediation vor. Bröhr lehnt ab. Das Ministerium weist den Landkreis erneut an, nicht aktiv gegen Kirchenasyle vorzugehen, und fordert von den Pfarrerinnen und Pfarrern Lösungsvorschläge. Sie versuchen, die sudanesischen Flüchtlinge an die evangelische Waldenser-Gemeinde in Italien zu vermitteln, doch die italienischen Behörden stimmen der Aufnahme in der Waldenserkirche nicht zu. Durch Eilanträge an ein Gericht verhindern die Kirchengemeinden dennoch, dass die Asylbewerber abgeschoben werden.

Ermittlungen werden eingestellt

Bröhr zeigt die Pfarrer an. Seine Begründung: Als Landrat sei er für die Durchführung beschlossener Entscheidungen zuständig. Durch das Kirchenasyl sei er daran gehindert. Er habe dabei keine Freiheiten und Ermessensspielräume. Ein funktionierender Rechtsstaat dulde keine Ausnahmen.

Im Januar 2019 durchsucht die Polizei die Gemeinderäume in Büchenbeuren und Kirchberg. Ein paar Monate später urteilt das Landgericht Bad Kreuznach: Die Pfarrer haben keine Beihilfe zum illegalen Aufenthalt begangen. „Das bloße Betreuen, Beherbergen, Verpflegen, Bekleiden eines ausreisepflichtigen Ausländers kann aus humanitären Gründen keine Beihilfehandlung darstellen.“ Der Aufenthaltsort der Flüchtlinge sei den Behörden bekannt gewesen. Sie hätten sie jederzeit aus dem Kirchenasyl holen können, dies aber aus Respekt vor der Kirche unterlassen. Das könne man nicht den Pfarrern vorwerfen.

Rechtlicher Graubereich

Den Durchsuchungsbeschluss hebt das ­Gericht auf Beschwerde der Pfarrer auf. Die Beweise dürfen nicht verwendet werden. Im Juni stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Die Verfahren gegen die sudanesischen Flüchtlinge wegen illegalen Aufenthalts laufen noch.

Das Kirchenasyl bleibt ein Graubereich, der Behörden, Richtern und Politikern gewisse Entscheidungsfreiheiten gibt – auch wenn die Grenzen in den vergangenen zwei Jahren enger gezogen wurden. „Man hat beim Kirchenasyl immer einen Spielraum“, sagt Simon Bieda vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD. „Das BAMF kann eigenständig entscheiden, ob es die Zuständigkeit für ein Asylverfahren von Dublin-Flüchtlingen, die eigentlich abgeschoben werden müssten, an sich zieht.“ Und jeder Landrat habe einen Ermessensspielraum, ob er die Polizei- und Ordnungsbehörden losschickt oder nicht. Klar sei aber auch: Das Kirchenasyl hänge vom Wohlwollen der Behörden und der politischen Stimmung ab.

Landrat Marlon Bröhr gibt zu verstehen, dass er sein Vorgehen auch im Nachhinein als korrekt empfindet und mit juristischer Rückendeckung wieder so handeln würde. Auch die Hunsrücker Pfarrer stehen zu ihrer Haltung. Sie betonen, dass sie weiterhin Anfragen für Kirchenasyle prüfen würden. „Es ist klar, dass wir nicht die Probleme der Welt im Hunsrück lösen können“, resümiert Pfarrer Hartung. „Aber wir können zumindest immer wieder das Bewusstsein dafür schärfen, dass etwas im Argen liegt.“

Doch die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Nach den Polizeieinsätzen und Ermittlungsverfahren gegen die Pfarrer in Rheinland-Pfalz seien kaum noch Gemeinden bereit, Kirchenasyl zu gewähren, vermeldete der Evangelische Pressedienst (epd) im Dezember 2019. „Viele sind einfach auch erschöpft“, sagte ein Mitarbeiter der Diakonie Rheinland-Pfalz dem epd. Die Anzahl an Kirchenasylen in Deutschland ist seit Anfang 2019 deutlich zurückgegangen. Noch dazu ist es immer seltener erfolgreich: 2015 und 2016 schützte das Kirchenasyl noch in 80 Prozent der Fälle die Geflüchteten vor einer Ab­schiebung. Im Herbst 2019 meldete das BAMF, dass es aufgrund von Kirchenasyl nur noch in zwei Prozent aller Fälle auf Abschiebungen verzichte. Der Freiraum ist eng geworden.