Wolfgang Schmidt
© Schmidt/privat
Wolfgang Schmidt ist nach siebenjähriger Tätigkeit als Propst von Jerusalem nach Deutschland zurückgekehrt.
Religionen haben Potenzial für Frieden, Versöhnung und Inklusion
Oberkirchenrat Wolfgang Schmidt über seine Zeit in Israel, seine Rückkehr nach Baden und den Religionsunterricht
Von Jerusalem nach Karlsruhe: Oberkirchenrat Wolfgang Schmidt ist nach siebenjähriger Tätigkeit als Propst von Jerusalem in die Evangelische Landeskirche in Baden zurückgekehrt. Seit September leitet er das Referat "Bildung und Erziehung". Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach er über Spontaneität in Israel, das Friedenspotenzial von Religionen und seine Visionen für die Bildungsarbeit.
19.02.2020
epd
Leonie Mielke und Christine Süß-Demuth

Sie haben sieben Jahre lang als Propst von Jerusalem gearbeitet, nun sind Sie als Oberkirchenrat in der Evangelischen Landeskirche in Baden tätig. Was vermissen Sie?

Wolfgang Schmidt: Die Selbstgestaltung meiner Zeit. Hier bin ich sehr stark eingebunden in eine Zeitstruktur. Ich habe eine Sekretärin, die meinen Kalender führt. Das ist mir das erste Mal im Leben passiert. In Jerusalem funktioniert unheimlich viel sehr kurzfristig. Da klingelt man durch, und dann trifft man sich. Oder die Propstei ruft an, sagt, da ist eine Gruppe in der Erlöserkirche und ob sie mich treffen können. Aber die Strukturen in Deutschland sind natürlich auch angenehm.

Sind die Christen in Jerusalem anders?

Schmidt: Ja. Die Protestanten sind eine kleine Minderheit. Ich habe darüber hinaus eine andere Art von Frömmigkeit und eine sehr tiefe Verwurzelung im Glauben erlebt. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass man permanent mit einem breiten andersgläubigen Umfeld konfrontiert ist. Die Identität bildet sich in Abgrenzung zum Islam und zum Judentum. Die Christen sprechen von sich als 'wir sind Christen', obwohl sie - von armenisch bis äthiopisch oder anglikanisch - 13 Konfessionen ausmachen.

Wie schätzen Sie die Situation im Nahen Osten ein?

Schmidt: Ich glaube, man sollte nicht übersehen, dass es ein großes politisches Schachspiel ist, das im Nahen Osten gespielt wird. Das heißt, jeder will gewinnen auf Kosten des anderen. Es gibt wenig Bemühen um ein Wohlergehen aller Völker dieser Region. Stattdessen gibt es ein Ringen um Einfluss und Macht. Das Bedauerliche ist, dass man, sobald man sich zu dem Thema äußert, in eine Kampfzone gerät. Es gibt nur ein Dafür oder ein Dagegen. Man bekommt ein Etikett aufgeklebt: "Freund" oder "Feind". Diese Denke ist in Deutschland nicht weniger wirksam als im Nahen Osten, vielleicht weniger tödlich, aber dennoch hoch aggressiv. Leider belastet das auch die wichtige Diskussion um den Antisemitismus hierzulande.

"Was ich betonen würde, ist die gemeinsame Verantwortung der Christen und Muslime für unsere Welt"

Wie können sich Religionen für Frieden engagieren?

Schmidt: Religionen haben das Potenzial zur Abgrenzung, zu Exklusivität und Gewalt. Und sie haben das Potenzial zu Frieden, Versöhnung und Inklusion. Welcher dieser Stränge betont wird, ist jeweils die Entscheidung derer, die diese Religionen ausgestalten und sie zu Wort bringen. Das würde ich ganz allgemein auf Religionen beziehen.

In der badischen Landeskirche wird über ein Gesprächspapier "Christen und Muslime" diskutiert. Es soll eine theologische Positionierung für den Dialog mit Muslimen darstellen, einzelne Passagen sind sehr umstritten. Wie sehen Sie das?

Schmidt: Ich finde, wir fokussieren uns manchmal zu stark auf die theologischen Aspekte, auf die Fragen von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Was ich gerne betone würde, ist die gemeinsame Verantwortung der Christen und Muslime für unsere Welt und insbesondere für die Gesellschaft, in der wir leben. Und diese Verantwortung können und sollten wir sehr beherzt wahrnehmen, unabhängig davon, wo wir vielleicht in theologischen Fragen eins oder uneins sind. Meine Zeit in Jerusalem hat natürlich auch meinen Blick auf die Ökumene geweitet und ich bin froh, dass ich mit diesem Hintergrund nun wieder für die badische Landeskirche arbeite.

Was schätzen Sie an der Landeskirche?

Schmidt: Ich bin ein liberal eingestellter Theologe und Christ und erlebe in dieser Hinsicht eine Weite, die ich sehr begrüße. Ich mag den Geist, den man hier spürt. Ich schätze es beispielsweise sehr, wie sich die badische Landeskirche zur gleichgeschlechtlichen Ehe positioniert hat.

Sie leiten das Bildungsreferat. Welche Vision haben Sie dafür?

Schmidt: Meine Vision ist es, die Bildungsarbeit, die sich nach außen in die Gesellschaft hineinrichtet, stark zu machen in einer Zeit zurückgehender Finanzen und Mitgliederzahlen. Bildung ist ja eines der ursprünglichen Anliegen der Reformation, und wenn wir in der Gesellschaft relevant bleiben wollen, muss dieses Anliegen lebendig bleiben. Bildung stärkt Verantwortung! Das brauchen wir.

"Es ist wichtig, dass wir wissen, wo wir in der Zukunft unseren Platz sehen"

Welche Aufgaben sind am drängendsten?

Schmidt: Wichtig ist im Moment ein Selbstverständigungsprozess über die Bildungsarbeit angesichts der Freiburger Studie, wonach sich die Kirchenmitgliedszahlen bis 2060 halbieren könnten. Es ist wichtig, dass wir wissen, wo wir in der Zukunft unseren Platz sehen. Nur so können wir mit den anderen Ebenen und Bereichen der Kirche über diese Fragen ins Gespräch kommen. Ansonsten ist der Bildungsbereich in unserer Kirche sehr gut aufgestellt. Allerdings suchen wir immer wieder händeringend Religionslehrerinnen und Religionslehrer.

Sind Quereinsteiger eine gute Möglichkeit, um Stellen zu füllen, wie das von der Politik vorgeschlagen wird?

Schmidt: Es muss schon eine richtige Qualifizierung vorliegen und auch das kirchliche Arbeitsrecht ist an vielen Stellen nicht so flexibel. Generell steht natürlich die Zukunft des Religionsunterrichts immer wieder in der Diskussion. Neben den langsam zurückgehenden Teilnehmerzahlen ist auch die bleibend starke Gruppe der Konfessionslosen eine Herausforderung.

Ich finde es wunderbar, wenn der Religionsunterricht es auch denen, die nicht konfessionell festgelegt sind, ermöglicht, sich mit Themen des Glaubens und der Weltanschauung zu beschäftigen und Raum zu haben für die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz und des Lebens. Aber das erfordert eine besondere Herangehensweise. Denn es ist eine Herausforderung für die Lehrer, Kinder zu unterrichten, die kein Vorwissen haben, und mit diesen Themen in der Schule präsent zu sein. Das Wissen und die Methoden bringen die Lehrkräfte mit, aber da ist auch eine seelische Konstitution notwendig, die wir stärken müssen.

"An jeder Kirche, an der man vorbeikommt, bildet sich auch ein Stück unserer ganzen Kultur ab"

Müssen dann künftig mehr Grundlagen unterrichtet werden?

Schmidt: Sicher auch. Der Religionsunterricht vermittelt in dem Sinn ja auch Kulturwissen. An jeder Kirche, an der man vorbeikommt, bildet sich auch ein Stück unserer ganzen Kultur ab. Dies zu sehen, zu verstehen, muss Anliegen einer Bildungsarbeit sein, die Menschen mündig macht. Wenn wir das Friedensfördernde im Blick auf die anderen Religionen stärken wollen, müssen wir auch unsere eigenen Traditionen gut kennen.

Ist der Unterricht gerade auch angesichts der zurückgehenden Zahlen der Kirchenmitglieder eine wichtige Basis?

Schmidt: Ich bin der Meinung, dass der Religionsunterricht für die Kirche den Blick nach außen, in die Gesellschaft, offen und wach hält. Angesichts der zurückgehenden Mitgliederzahlen könnte sich die Kirche womöglich stärker auf sich selbst zurückzuziehen. Der Religionsunterricht erinnert uns aber, dass wir einer Zielrichtung folgen, die uns in die Welt hineinführt.

Es wird auch von einem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht gesprochen. Wird das kommen?

Schmidt: Ich denke, die schon bisher praktizierte konfessionelle Kooperation sollte umgesetzt werden, wo immer es möglich ist. Ob die Zukunft da liegt, wird sich erst noch herausstellen, da zu einer Partnerschaft immer zwei gehören. Den Versuch, es weiter zu stärken, ist es auf jeden Fall wert.