An Margot Haids Gesicht kann man die Begeisterung ablesen: "So einen schönen Gottesdienst gibt’s bei uns in Hessen nicht!" Gemeinsam mit ihrem Mann Gerd ist sie aus Gedern zum großen Treffen Schwäbisch-Alemannischer Narren in den Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt gekommen. Und so auch in die dortige Stadtkirche zum ökumenischen Narrengottesdienst. "Es war ein Weihnachtsgeschenk unserer Tochter."
Die beiden "Weißnarren" Hannelore und Manfred Bödrich von der Narrenzunft Wehingen sind dagegen nicht zum ersten Mal beim Narrengottesdienst: "Cannstatt ist meine Heimat und der Narrengottesdienst ist lockerer und schöner als ein normaler Gottesdienst", erklärt Hannelore Bödrich. Und der "zunftlose" Ernst Kopp ergänzt: "Hier wollen alle das gleiche, Freude und Spaß und friedlich miteinander feiern!"
Seit vielen Jahren findet der Narrengottesdienst statt, erzählt Pfarrer Florian Link. Er hat sich wie auch sein katholischer Kollege Andreas Krause zu dem besonderen Anlass verkleidet: Mit riesigen Flügeln und einem flauschigen Heiligenschein stellt er einen Engel dar, während Krause vor allem durch seinen knallblaue Lockenperücke und die schrillen, schwarz-gelben Ringelstrümpfe auffällt. Eigentlich sollte der Cannstatter Dekan Eckart Schultz-Berg zusammen mit Florian Link den Gottesdienst halten, doch "ich bin vom Lastenkamel gefallen", scherzt Schultz-Berg, noch ganz in seiner Rolle als Abraham, und zeigt auf sein geschientes Bein.
Abraham ist nur eine der alttestamentarischen Figuren, die in der Stadtkirche zu neuem Leben erwacht sind. "Man hat uns als Narren bezeichnet, weil wir in ein fremdes Land gezogen sind", sagt Abrahams Ehefrau Sara, verkörpert von der Vorsitzenden des Kirchengemeinderats, Marieluise Beckhoff. Noah, Mose, Joseph und David entdecken Pfarrer Florian Link und Andreas Krause unter den Gottesdienstbesuchern, die bereitwillig mitmachen beim heiteren Such-Spiel.
Als erstes wird Noah aufgespürt, der eine große "Kischde" gebaut hat, wie die Pfarrer in breitem Schwäbisch erzählen. "Aber warum guckt denn der so erschrocken?", will der eine wissen, und der andere entgegnet: "Was meinst du, wie's in der Kiste gerochen hat!" Die Besucher amüsieren sich köstlich. Auch, dass Mose ganz "narrisch" geworden sei wegen dem "goldenen Rindviech", um das die Israeliten tanzten, sorgt für viel Gelächter. Um Joseph zu finden, halten die Pfarrer Ausschau nach jemandem, der "ein bissle verträumt" aussieht. David wiederum wird zielsicher daran erkannt, dass er ein Musikinstrument mitgebracht hat. Und jetzt wird auch noch verraten, dass er halbnackt hinter der "Kischde" getanzt hat, in der man die zehn Gebote nach Jerusalem gebracht habe. "Ich glaub', so ist's ein paar von den Narren gestern auch gegangen!", witzeln Link und Krause.
Überhaupt wird viel gelacht und gefeiert in diesem Gottesdienst. "Sara" lacht, weil sie "als alte Oma noch ein Kindle kriegen soll". Vor allem jedoch lachen und applaudieren die Gottesdienstbesucher. Die Musik des Spielmannzugs wird ebenso von rhythmischem Klatschen begleitet wie das Lied "Hevenu schalom alejchem", das der Kirchenchor "Chorisma" gemeinsam mit den Besuchern anstimmt. Andere, wie etwa Thorsten Heeg und seine Familie, die als Mitglieder der heimischen Narrenzunft alle vier in ein "Häs" aus bunten Fetzen oder vielmehr "Blätzle" gekleidet sind, lassen immer wieder mit viel Getöse ihre Weinbergrätschen in der Luft kreisen. Und zum Cannstatter Waschweiber-Lied "Wo kann's schöner sein" schunkeln alle gemeinsam - die Pfarrer eingeschlossen.
"Wir wollen uns freuen und einfach närrisch sein und gleichzeitig den Himmel finden", haben die beiden Pfarrer zu Beginn des Gottesdienstes die Losung ausgegeben. Doch was ist der Himmel eigentlich? Jutta Kirstädter und Herbert Dentler, "Küblerin" und Chormitglied, haben schon Wochen vorher Besucher des Cannstatter Wochenmarktes gefragt, was für sie der Himmel sei, und dabei ganz unterschiedliche Antworten bekommen - von "Na was wohl, Snowboardfahren!" bis zu "Das gibt’s bei mir nicht, das ist ein atmosphärischer Zustand."
Thomas Zörlein von der Cannstatter Narrenzunft Kübelesmarkt bringt es schließlich auf den Punkt: "Der Himmel, das ist für mich wie ein großes Narrentreffen, wo alle miteinander lustig sind und feiern." Und als die Gottesdienstbesucher am Ende, wie von den Pfarrern gewünscht, einander in die Augen schauen, um zu sehen, "ob da nicht der Himmel aufgeht", als sie einander an den Händen halten, um das Vaterunser zu beten, und einander den Friedensgruß entbieten, da ist man auf einmal mittendrin im "himmlischen Narrentreffen". Und das ist auch kein Wunder, wird im Gebet deutlich. Denn "Gott hat alles geschaffen, sogar die fünfte Jahreszeit."