"Beteiligung kennt keine Altersgrenze nach unten"
Kinderhilfswerk: Geschäftsführer will Kinderrechte im Grundgesetz
20.01.2020
epd
epd-Gespräch: Markus Jantzer

Berlin (epd). Mit der gezielten Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz wird nach Überzeugung des Deutschen Kinderhilfswerks die Gesellschaft kinderfreundlicher werden. Allerdings würden sich "nicht von heute auf morgen die Lebensbedingungen von Kindern in Deutschland verbessern", sagte der Bundesgeschäftsführer des Hilfswerks, Holger Hofmann, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Recht Minderjähriger auf gesellschaftliche Beteiligung könnten insbesondere kommunale Kinder- und Jugendparlamente sicherstellen.

epd: Herr Hofmann, der Bundestag will in diesem Jahr Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Was bringt das den Kindern?

Holger Hofmann: Die Normierung von Kinderrechten im Grundgesetz wird die gesellschaftliche Sicht auf Kinder positiv verändern und ihre Rechte quer durch die Rechtsgebiete stärken: vom Jugendhilferecht über das Straßenverkehrsrecht bis hin zum Baurecht und selbstverständlich auch im Bildungsbereich und der Haushaltsgesetzgebung. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie brauchen über die allgemeinen Grundrechte hinaus besondere Rechte.

epd: Sehen sie darin einen wirksamen Schritt zu einer kinderfreundlichen Gesellschaft?

Hofmann: Die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz wird sich nach meiner Überzeugung bei der Planung und Gestaltung in allen Politikfeldern positiv auswirken. Auch bei der konkreten Rechtsprechung werden die Rechte von Kindern verbindlicher als bisher Berücksichtigung durch die Richterinnen und Richter finden. Bei neuen Gesetzesvorhaben würden die Auswirkungen auf die Interessen von Kindern miteinbezogen und dadurch eine Kinderrechtsperspektive eingeführt werden. Das heißt: Im Ergebnis wirkt sich dies auf alle drei Staatsgewalten aus. Klar ist aber auch, dass die Aufnahme von Kinderrechten im Grundgesetz an vielen Stellen nicht von heute auf morgen die Lebensbedingungen von Kindern in Deutschland verbessern wird.

epd: Unter anderem soll die Beteiligung von Kindern an politischen Entscheidungen ein Verfassungsrecht werden. Inwiefern ist es geboten und auch rechtlich vertretbar, Minderjährige, also Unmündige, mit Beteiligungsrechten auszustatten?

Hofmann: Die Beteiligung von Kindern kennt grundsätzlich keine Altersgrenze nach unten. Durch eine Grundgesetzänderung sollte sichergestellt werden, dass jedes Kind das Recht auf Beteiligung in Angelegenheiten erhält, die es betrifft. Seine Meinung sollte dann entsprechend seinem Alter und seiner Entwicklung in angemessener Weise berücksichtigt werden. Eine grundgesetzlich normierte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen folgt auch einem gesamtgesellschaftlichen Interesse. Denn eine stärkere Beteiligung von Kindern und Jugendlichen wird dazu führen, dass sich die heute jüngere Generation auch später für die Mitgestaltung und den Erhalt unserer Demokratie engagiert.

epd: Eine seit vielen Jahren in einzelnen Städten in Deutschland praktizierte Beteiligungsform sind Kinder- und Jugendparlamente. Warum sind diese besonders geeignet, Kinderrechte zu stärken?

Hofmann: Die Ziele und die Arbeit der Kinder- und Jugendparlamente in Deutschland sind sehr vielfältig. Besonders wichtig ist die dadurch praktizierte Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Es geht um ihre Mitbestimmung am kommunalen Geschehen, insbesondere wenn es um Kinder und Jugendliche betreffende Themen geht. Kinder- und Jugendparlamente sind auch konkrete Ansprechpartner für Kinder und Jugendliche vor Ort, sie nehmen ihre Anregungen und Forderungen auf und können diese dann in die Kommunalpolitik einspeisen. Oftmals arbeiten Kinder- und Jugendparlamente über viele Jahre erfolgreich, die Kinder und Jugendlichen werden kontinuierlich in die Kommunalpolitik einbezogen, sie können die "Früchte ihrer Arbeit" selbst sehen und langfristig mitgestalten - anders als beispielsweise bei Projekten, die stets nur temporär angelegt sind.

epd: Nehmen Kinder- und Jugendparlamente tatsächlich Einfluss auf die Kommunalpolitik?

Hofmann: Der tatsächliche Einfluss von Kinder- und Jugendparlamenten auf kommunalpolitische Entscheidungen unterscheidet sich von Ort zu Ort. Hier kommt es entscheidend darauf an, wie viel Einflussmöglichkeiten den Kinder- und Jugendparlamenten zugestanden werden und in welcher Rolle sich das Kinder- und Jugendparlament selbst sieht. Es gibt beispielsweise Kinder- und Jugendparlamente, die Rede- und Antragsrechte im Gemeinderat haben. Auf diesem Wege können Themen direkt eingebracht werden. Wir wissen aus der Praxis, dass die Kinder- und Jugendparlamente sehr stark bei Ideenfindung und Planung eingebunden werden, bei der konkreten Mitwirkung an Entscheidungen der Gemeinderäte besteht dagegen noch Entwicklungspotenzial nach oben, aber auch hierzu gibt es viele gute Beispiele.

epd: Welche Themen sollten in Kinder- und Jugendparlamenten behandelt werden?

Hofmann: Im Prinzip können und sollten sich Kinder- und Jugendparlamente mit allen Themen beschäftigen, für die sich die Kinder und Jugendlichen interessieren. Die Bandbreite der Arbeitsbereiche, mit denen sich Kinder- und Jugendparlamente beschäftigen, ist sehr vielfältig. Beispielsweise stehen Fragen der politischen Bildung, die Planung und Ausgestaltung von Freizeitangeboten und Freizeitanlagen, Verkehrs- und Stadtplanung oder Bildungspolitik und Umweltschutz auf den Tagesordnungen. Sollte bei den Kindern und Jugendlichen Expertise fehlen oder das Thema ohne Vorwissen zu komplex sein, holen sie sich - wie Erwachsenengremien auch - Expertinnen und Experten für entsprechenden Input hinzu.

epd: Unter welchen Voraussetzungen bringen Kinder- und Jugendparlamente konstruktive Ergebnisse hervor?

Hofmann: Oberster Grundsatz in der Kommune sollte sein, dass das Kinder- und Jugendparlament ernst genommen wird und vonseiten der Politik und Verwaltung eine Begegnung auf Augenhöhe stattfindet. Nur so ist echte Teilhabe und Beteiligung möglich. Dafür sollte die Stellung des Kinder- und Jugendparlamentes, seine Rechte und Pflichten klar definiert sein. Den Mitgliedern des Kinder- und Jugendparlamentes sollte zudem Fachwissen über die Abläufe von Verwaltung und Kommunalpolitik vermittelt werden. Wichtig sind aber auch eine das Kinder- und Jugendparlament betreuende, unterstützende und begleitende Fachkraft, ein eigenes Budget sowie eine gute Kooperation und Austausch mit Verwaltung und Gemeinderat.

Wichtig ist auch, dass sich Kinder- und Jugendparlamente bemühen, "verschiedene" Kinder und Jugendliche in der Kommune zu erreichen und nicht nur die aus der Mittel- und Oberschicht. In Kinder- und Jugendparlamenten sollte möglichst ein Querschnitt der Gesellschaft sitzen, also Kinder und Jugendliche aus armen und reichen Haushalten, Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, Flüchtlingskinder, Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen, Hauptschülerinnen, Oberschüler, Gymnasiastinnen.

epd: Ist dieser Anspruch realistisch?

Hofmann: In der Tat gibt es hier Grenzen. Um möglichst alle Kinder und Jugendlichen zu erreichen, ist eine vielfältige Beteiligungslandschaft notwendig, die weitere Formate wie Runde Tische, Kinder- und Jugendforen zu einzelnen Sachfragen oder projektorientierte Beteiligungsformen einbindet.

epd: Woran scheitern Kinder- und Jugendparlamente?

Hofmann: Sehr oft scheitern sie an der fehlenden Verbindlichkeit und mangelnder Ernsthaftigkeit von Politik und Verwaltung. Eine besondere Rolle spielt immer wieder die betreuende Fachkraft und die Anlaufstelle des Kinder- und Jugendparlamentes in der Verwaltung. Besonders wichtig ist es, dass die Organisationsstruktur und Arbeitsweisen an die Lebensbedingungen und Bedarfe von Kindern und Jugendlichen angepasst werden.

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