Frankfurt a.M. (epd). Die großen KZ-Gedenkstätten in Deutschland haben im Jahr 2019 erneut mehr Besucher gehabt. Das ergab eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei den Gedenkstättenbetreibern kurz vor dem Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. So meldete die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrationslager Dachau knapp 900.000 Besucher. Das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen bei Potsdam besuchten mehr als 700.000 Menschen, wie die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten mitteilte. Die Tendenz sei sogar weiter steigend, die Belastungsgrenze für Personal und Infrastruktur bereits erreicht.
Ein Grund für den Anstieg in Sachsenhausen sei die Zahl der Besuchergruppen, die mit Stadtführungen aus Berlin nach Sachsenhausen kommen, teilte Stiftungsdirektor Axel Drecoll mit. Auch in München führt man die steigenden Besucherzahlen in Dachau auf gestiegenen Tourismus in der bayerischen Landeshauptstadt zurück.
In Berlin stieg die Besucherzahl bei der Stiftung Topographie des Terrors, auf deren Gelände sich die ehemalige Gestapo-Zentrale befindet, zum siebten Mal in Folge über eine Million: 1,3 Millionen Menschen kamen 2019. Auch die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand verzeichnete ein Besucherplus von 13.500 auf 255.111. Grund sei der 75. Jahrestag des Hitlerattentats am 20. Juli 1944.
In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg steigen die Besucherzahlen seit 1990 kontinuierlich. 123.000 Personen kamen 2019. Zum Vergleich: 1990 kamen 32.687 Menschen, im Jahr 2000 46.577. Das ehemalige Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen verzeichnet konstante Besucherzahlen, 2019 kamen rund eine Viertelmillion Menschen.
Einige kleinere Gedenkstätten melden auch Besucherrückgänge für das Jahr 2019. So etwa die Berliner Gedenkstätte Haus am Wannsee, wo im September die Dauerausstellung geschlossen wurde. Eine vollkommen neu gestaltete Dauerausstellung, die ein breiteres Publikum anziehen soll, wird am Sonntag eröffnet. Auch die rheinland-pfälzische KZ-Gedenkstätte in Osthofen bei Worms meldete 926 weniger Besucher als 2019, die Zahl ging auf 14.522 zurück. Der Grund sei eine angespannte Personalsituation, teilte die Gedenkstätte mit.
Nennenswerte antisemitische Zwischenfälle gab es 2019 nicht zu vermelden. Ein Teilnehmer einer AfD-Gruppe, die im Sommer 2018 eine Führung in Sachsenhausen mitgemacht hatte, wurde im Oktober 2019 wegen Volksverhetzung und Störung der Totenruhe zu einer Geldstrafe in Höhe von 4.000 Euro verurteilt, wie die Gedenkstätte mitteilte. Mehrere Gedenkstättenleiter beobachten seit einigen Jahren eine zunehmende Tendenz einzelner Besucher zu geschichtsrevisionistischen Auffassungen und sekundärem Antisemitismus in Form von einseitiger Kritik am Staat Israel.
Der Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner, berichtet über ein Beispiel aus Bergen-Belsen: Auf dem 1946 errichteten jüdischen Mahnmal in der Gedenkstätte heißt es, dort seien 30.000 Juden ermordet worden. In Publikationen der Gedenkstätte ist von 52.000 toten KZ-Häftlingen die Rede, von denen etwa die Hälfte Juden waren. Die Diskrepanz lasse sich darauf zurückführen, dass 1946 noch keine genauen Zahlen vorlagen. Für Revisionisten sei dies ein Beleg dafür, dass in der Gedenkstätte wie überhaupt in der Erinnerungskultur Lügen verbreitet würden.
"Es wird deutlich, dass die Grenze des Sagbaren weiter wird", sagte Sibylle Thelen von der baden-württembergischen Landeszentrale für politische Bildung, die die dortigen NS-Gedenkstätten verwaltet. "Wir betrachten das aber nicht alarmiert, sondern als Bildungsauftrag."
Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz in Polen befreit. Seit 1996 wird zu diesem Datum der Holocaust-Gedenktag begangen. In Deutschland gibt es Dutzende KZ-Gedenkstätten, hinzu kommen viele weitere Erinnerungsstätten für die Verbrechen der Nationalsozialisten. Rund sechs Millionen europäische Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Verfolgt und in großer Zahl getötet wurden auch Regimegegner, überzeugte Christen, Sinti und Roma und Homosexuelle.
epd lde/hei jup