Eigentlich will der geschiedene Hamburger Familienvater Simon (Felix Klare) mit seinen Kindern beschauliche Ferien im südfranzösischen Ferienhaus der Familie verbringen, aber dann kommt alles ganz anders: Als die Kinder absagen, nimmt er stattdessen die frierende und ausgehungerte junge Streunerin Nathalie (Jasna Fritzi Bauer) bei sich auf. Natürlich kann er nicht ahnen, worauf er sich da einlässt. Die beiden geraten ins Visier einer skrupellosen Organisation, die ohne zu Zögern über Leichen geht, um die Spuren ihrer abscheulichen Machenschaften zu verbergen; ein Mann, der Nathalie vergewaltigen wollte, ist gefoltert und ermordet worden. Simon ist zwar schockiert, aber zunächst überzeugt, dass ihn das alles nichts angeht. Das ändert sich, als die Gangster auch einen Menschen aus seinem direkten Umfeld umbringen.
Ähnlich wie die eine Woche zuvor ausgestrahlte Link-Verfilmung "Im Tal des Fuchses" beginnt auch "Die Entscheidung" mittendrin. Sven Fehrensen, der bislang nur Serienepisoden inszeniert hat ("Sankt Maik", RTL), zieht in seinem Fernsehfilmdebüt zum Auftakt alle Thriller-Register; der Prolog, in dem eine junge Pariserin offenbar brisante Daten auf einen Stick kopiert, ist zwar äußerst rätselhaft, aber ungemein fesselnd. Mit dem Wechsel nach Marseille kommt der Film erst mal zur Ruhe, doch spätestens nach dem ersten Mord knüpft die Geschichte wieder an den spannenden Einstieg an. Die Adaption des Romans besorgte Andreas Linke, der bislang vor allem Regie geführt ("Baron Münchhausen") und unter anderem die Link-Verfilmung "Die Betrogene" (2018) inszeniert hat.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Neben der vordergründigen Spannung lebt der von der ARD-Tochter Degeto in Auftrag gegebene Thriller natürlich vor allem von der Frage, wie die verschiedenen Beteiligten in das Verbrechen verwickelt sind; und auf welcher Seite sie stehen. Dritte Hauptfigur ist Jerome (Frederick Lau), der offenbar nicht wusste, worauf er sich einließ, als er im Auftrag eines Pariser Unternehmens eine Fuhre in Sofia abholen sollte: Das Unternehmen betreibt einen lukrativen Handel mit attraktiven jungen Osteuropäerinnen, denen die leitende Mitarbeiterin einer angeblich römischen Agentur eine große Karriere als Model verspricht; den Eltern wird der Abschied von ihren Töchtern mit einer großzügigen Anzahlung erleichtert. Interessant am Rande: Die Agentin wird von Lina Wandel verkörpert, die in der Episode "Jung und schön" (2019) aus der gleichfalls von der Degeto verantworteten Donnerstagskrimireihe "Die Füchsin" in ihrer Rolle als Privatdetektivin mit der gleichen Masche konfrontiert wird.
Im Verlauf der Geschichte sorgt Linke dafür, dass die zunächst unverbundenen Ebenen schließlich ein schlüssiges Gesamtbild ergeben: Jerome hat zu Beginn der jungen Frau mit dem Stick zur Flucht zurück nach Bulgarien verholfen, Nathalie ist seine Freundin; aber Jerome wird auch wegen Mordes gesucht. Die Eltern einer anderen jungen Frau aus Sofia tragen wiederum entscheidend dazu bei, dass die französische Polizei dem Mädchenhandel auf die Spur kommt. Die Organisation hat jedoch mächtige Verbündete, weshalb Jerome, Nathalie und schließlich auch Simon niemandem trauen können; nicht mal der zuständigen Kommissarin (Jeanette Hain) und ihrem Mitarbeiter (Christian Kuchenbuch).
Der Film wirkt nicht zuletzt dank der internationalen Schauplätze optisch sehr aufwändig, zumal Kamerafrau Friederike Heß für eine hochwertige Bildgestaltung gesorgt hat. Reizvoll ist auch der Kontrast zwischen dem betont als glitzernde Metropole inszenierten Paris und der beschaulichen Provinz. Zwar sprechen sämtliche Beteiligten überall das gleiche Deutsch, ganz gleich, ob sie Franzosen oder Bulgaren sind, aber die ausländischen Schauspieler sind immerhin gut synchronisiert worden. Im Vergleich zu einer Donnerstagsreihe wie dem "Barcelona-Krimi" ist die Charlotte-Link-Verfilmung ohnehin um Klassen besser; und spannender sowieso.