Sonntag, kurz vor 12 Uhr mittags in Siegen. Der Kantatengottesdienst in der evangelischen Kirchengemeinde Nikolai ist längst zu Ende, nach dem anschließenden Kaffeetrinken verlassen die letzten Besucher die Kirche. "Da war der Mann in der Kirche", schildert Stefan König. Der Unbekannte sitzt allein in einer Bank. Der Küster der Gemeinde geht auf ihn zu, spricht ihn an – und sieht sich plötzlich von einer Waffe bedroht. Da ergreift der 60-jährige Kirchenmitarbeiter die Flucht und berichtet Pastor König im benachbarten Pfarrhaus, was passiert ist.
Während der Geistliche die Polizei alarmierte, die sofort einen Großeinsatz einleitet, sitzt der verwirrte, offensichtlich psychisch labile Mann in der Kirche. Später wird sich herausstellen, dass er 25 Jahre alt ist und nicht aus Siegen kommt, sondern aus dem benachbarten Rheinland-Pfalz. Er versucht, die Altarbibel in Brand zu setzen. Der Mann schießt aus dem Kirchenfenster auf einen der SEK-Beamten, die aus Köln und Düsseldorf herbeigeeilt sind. Dieser gibt einen Warnschuss ab, ein Glasfenster geht zu Bruch.
Kontakt kommt nicht zustande
"Wir waren in engem Kontakt zur Polizei", schildert Pfarrer König. Die Beamten mussten sich erst in die Gegebenheiten einfinden, mögliche Fluchtwege des Mannes prüfen. Keller? Kirchturm? "Wir kennen natürlich die Örtlichkeiten." Stundenlang wurde überlegt, wie sich die Situation entschärfen ließ. Doch ein Kontakt zu dem Mann kommt nicht zustande. Statt mit der Polizei zu reden, führt der Bewaffnete offenbar Selbstgespräche. Gegen 17.15 Uhr folgt der Zugriff. Der Mann wird überwältigt. Man bringt ihn in ein Siegener Krankenhaus.
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Wie fühlt sich die Gemeinde nach einem solchen Zwischenfall? Pfarrer König erwartet, dass es Gesprächsbedarf gibt. "Wir werden uns als Presbyterium Gedanken machen, wie wir damit umgehen." Fälschlicherweise berichtete eine lokale Zeitung, der Mann sei im Gottesdienst gewesen. "Das hat große Verunsicherung hervorgerufen", so der Geistliche. Die Vorstellung, neben einem bewaffneten Verwirrten zu feiern, ist alles andere als angenehm. Pfarrer König stellt klar: "Er hat keine Bezüge zur Gemeinde. Er war zufällig in Siegen, und hat wohl zufällig die offene Kirche gesehen."
"Das macht ihr nicht!"
Ein abendliches Konzert mit dem Vokalensemble der Gemeinde wurde abgesagt. "Das kann nicht sein, dass ein bewaffneter Mann in der Kirche sitzt, und abends halten wir ein Konzert, als sei nichts gewesen", sagt König, der seit 14 Jahren in der Gemeinde tätig ist. Der Schock über das Geschehene wird kaum geringer, als sich am Montag herausstellt, dass es sich bei der Waffe um eine Schreckschusspistole handelt. Diese sieht einer scharfen Waffe nicht nur täuschend ähnlich, sondern kann ebenso zu schweren und sogar tödlichen Verletzungen führen.
Der Gemeindepfarrer freut sich, dass "alles glimpflich abgegangen ist" – und dass auch sein Küster in Ordnung ist. "Er hat das gut weggesteckt. Er hatte keine Angst, nur ein mulmiges Gefühl, als er die Kirche verließ und unsicher war, ob der Mann hinter ihm herkommt." Als der Küster ins Pfarrhaus kam, bot ihm König in einer ersten Reaktion an, gemeinsam zurück zu dem Bewaffneten zu gehen und mit ihm zu reden. Doch Königs Frau widersprach sofort: "Das macht ihr nicht!" Daraufhin rief König die Polizei. Eine gute Entscheidung.