Dem Kern der Vorlage ist die Autorin jedoch treu geblieben: Abel Hradschek (Fritz Karl) führt irgendwo in einem verlassenen brandenburgischen Nest einen Landgasthof, der seine beste Zeit schon lange hinter sich hat. Damit könnte sich der Gastwirt vermutlich sogar arrangieren, wenn die aus Berlin stammende Gattin Ursel (Julia Koschitz) nicht so sehr über ihre Verhältnisse leben würde. Der Betrieb ist pleite, eine überfällige Renovierung hat das Haus zur Dauerbaustelle werden lassen, und Ursel bestellt immer wieder neue teure Kleidungsstücke im Internet; es muss dringend ein Wunder geschehen, zumal die Gattin als Kontoführerin der evangelischen Pfarrgemeinde regelmäßig Geld unterschlagen hat. Ihr Mann ist auch nicht besser: Der Gastwirt veranstaltet regelmäßig Pokerabende, zu denen sich die Honoratioren des Dorfes (Peter Prager, Stephan Grossmann, Hilmar Eichhorn) gern einfinden. Weil ihm das Glück auch im Spiel nicht hold ist, schuldet er dem Geldverleiher Schulze (Peter Schneider) eine stattliche Summe. Die rettende Idee kommt Hradschek, als er zufällig unterm Birnbaum das Skelett eines Rotarmisten aus dem Zweiten Weltkrieg findet: Den nächsten Besuch im Gasthof wird Schulze nicht überleben.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die Rolle des Skeletts im perfiden Plan des Mörders zeugt von großer Heimtücke, zumal Hradschek die notorische Neugier seiner alten Nachbarin (Katharina Thalbach) ebenso in seine Überlegungen miteinbezogen hat wie den Dorfpolizisten: Geelhaar (Devid Striesow) glaubt nicht eine Sekunde lang daran, dass der Geldverleiher infolge eines Unfalls mit seinem Auto in der Oder gelandet ist, zumal die Leiche unauffindbar bleibt. Mit Hradschek hat er ohnehin noch eine Rechnung offen, denn er hat Hausverbot im Gasthof, seit er Ursel "nachgestiegen" ist. Dank Hradscheks Raffinesse blamiert sich der Polizist jedoch bis auf die Knochen, als er seinen Verdacht öffentlich äußert. Nicht einkalkuliert hat der Gastwirt allerdings Gewissensbisse: Die Schuld ihrer Mittäterschaft raubt Ursel auch noch den letzten Rest Lebensfreude.
Uli Edel, Regisseur von Kinofilmen wie "Der Baader Meinhof Komplex" oder prestigeträchtigen TV-Produktionen wie "Das Adlon", trifft den Geist der 1885 erschienenen Novelle ebenso perfekt wie die Autorin. Der Film ist daher eher Drama als Krimi, selbst wenn einige Szenen für ein bisschen Nervenkitzel sorgen. Die Bildgestaltung von Hannes Hubach, der für Edel zuletzt schon bei "Der Club der singenden Metzger" für schmerzlich-schöne Bilder gesorgt hat, ist erlesen wie stets, und Sebastian Fillenberg hat eine Musik geschrieben, die an große Psycho-Klassiker erinnert. Trotzdem lebt "Unterm Birnbaum" in erster Linie von seiner im Grunde einfachen Geschichte, die letztlich das Psychogramm einer Ehe ist. Kostüm- und Maskenbild sorgen dafür, dass die mondäne Ursel in dem Dorf denkbar deplatziert wirkt. Neben der eleganten Kleidung und den hochhackigen Schuhen ist vor allem das starke Make-up ein unübersehbares Signal, zumal Julia Koschitz in ihren Filmen meist eher dezent geschminkt ist. Ursels Kaufsucht ist ein weiterer Hinweis darauf, dass diese Frau, die zudem ihr einziges Kind verloren hat, nie im Oderbruch heimisch geworden ist. Nach dem Mord hat sie einen Rückfall in ihre nur scheinbar kurierte Tablettensucht; ihre Halluzinationen von Schulz als Wiedergänger haben tragische Folgen.