Luther-Kirche
© Dieter Dehler
Die Luther-Kirche im Frankfurter Nordend erhielt 2002 moderne Anbauten, wodurch das alte Gemeindehaus überflüssig wurde und verkauft werden konnte.
Kirche als Akteurin auf dem Immobilienmarkt
Kirchen besitzen in Deutschland viele Grundstücke und Immobilien. Als Akteur auf dem angespannten Frankfurter Wohnungsmarkt sieht sich Stadtdekan Achim Knecht in der sozialen Verantwortung - gegenüber Mietern, aber auch gegenüber Projekten, die mit den Einnahmen querfinanziert werden.

Die Türme der evangelischen Kirchen wachsen nicht mehr in den Himmel. Das kann man in Frankfurt an einer Einfallstraße kurz vor dem Hauptbahnhof sehen. Der sandsteinfarbene Turm der Matthäuskirche reckt sich stolz und sichtbar neben den angrenzenden Hochhäusern in die Höhe – aber die Kirche selbst soll bald einem abgespeckten Neubau weichen. So wie künftig auch das angrenzende Polizeipräsidium, das vom Land Hessen verkauft wurde und teuren Büro-Immobilien Platz machen soll.

Im April 2002 beschloss die Regionalversammlung des Evangelischen Regionalverbands den Abriss des Gebäudes und den Verkauf des Grundstücks der Matthäuskirche. Darüber kam es zu einem langwierigen Konflikt mit der dort beheimateten Hoffnungsgemeinde. Als Kompromiss kam 2007 der Vorschlag auf, einen erheblichen Teil des Kirchengebäudes zu erhalten und in eine neue Hochhausbebauung zu integrieren. Mit diesem Vergleich konnte seinerzeit der Konflikt beigelegt werden, erläutert der Stadtdekan für Frankfurt und Offenbach, Achim Knecht.

Der Turm der Matthäuskirche am Rande des Frankfurter Bankenviertels bleibt erhalten. Ein Großteil des Grundstücks soll nach jahrzehntelangem Streit mit der dortigen Hoffnungsgemeinde demnächst in Erbpacht an einen Investor verkauft werden.

Wiederum ein Jahrzehnt später hat die Regionalversammlung im September 2018 im Einvernehmen mit der Hoffnungsgemeinde erneut einen Grundsatzbeschluss zum Verkauf getroffen. Von dem 3.100 Quadratmeter großen Areal soll nur ein 450 Quadratmeter großes Grundstück im kirchlichen Besitz bleiben, der Rest soll an einen Investor gehen, doch "der Kirchturm bleibt stehen", so Knecht. Das bisherige Gebäude sei wenig praktikabel, vor allem zu groß, weil die Gemeinde von einst 10.000 auf 3.000 Mitglieder geschrumpft ist. Ein Zehntel davon werden in dem Neubau noch Platz finden. Wann es losgeht, ist weiter offen, denn "das Liegenschaftsverfahren ist komplex". 

Doch nicht nur das. In einer Zeit, in der der Immobilienmarkt gerade in einer Metropole wie Frankfurt heiß läuft, steht auch die Kirche als Grundstücks- und Immobilienbesitzer in der Verantwortung. In Frankfurt verwaltet sie 500 Objekte – vom Geschosswohnungsbau bis zum Einfamilienhaus. Dazu kommen noch 170 Seniorenwohnungen sowie die Kirchen und Gemeindehäuser und knapp zwei Dutzend unbebaute Grundstücke. Ob man die in den 1960ern und 1970ern gebauten Wohnungen behalten soll, stand vor zwei Jahren noch infrage, so Knecht. Am Ende trennte man sich nur von unrentablen Einzelobjekten. Eigentlich sei die Kirche ja kein Wohnungsunternehmen, sagt der Stadtdekan. Andererseits aber wolle man auch soziale Verantwortung zeigen dafür, "dass auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt die Preise nicht noch mehr durch die Decke gehen".

Doch mit guten Vorsätzen allein wird das nichts. Die Kirche bleibt zwar weiter Vermieter. Der erhebliche Sanierungsbedarf an den Wohngebäuden wird den Evangelischen Regionalverband Frankfurt/Offenbach in den nächsten 20 Jahren allerdings einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Dafür müssen Kredite aufgenommen, Rücklagen entnommen werden. Auch der Erlös von Grundstücksverkäufen fließt komplett dort hinein. 

Das Haus am Weißen Stein ist hessenweit das größte evangelische Beratungszentrum. Seine Sanierung wurde nur im Rückgriff auf Immobilienerlöse möglich, sonst hätte die Schließung gedroht.

Es ist ein Geben und Nehmen. Vor einigen Jahren stand etwa das Haus am Weißen Stein auf der Kippe. Sollte das hessenweit größte kirchliche Beratungszentrum aufgegeben oder saniert werden – für acht Millionen Euro? Der Regionalverband entschied sich für die Sanierung, auch mit Mitteln aus der Vermarktung kirchlicher Gebäude und Grundstücke in Erbpacht. Dass deren Wert in der boomenden Mainmetropole kräftig stieg, habe die Finanzierung "erheblich leichter gemacht, als sie acht Jahre zuvor geplant war", so Knecht.

Auch die St. Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend soll schrumpfen, ein kleinerer Neubau des Gemeindehauses soll in den nächsten Jahren Platz für Wohnungsbau schaffen. Der Neubau des Gemeindehauses und die Sanierung der Kirche sollen vom Erlös des Grundstücksverkaufs finanziert werden. 

Diesen Umbau hat die Luthergemeinde im Frankfurter Nordend schon hinter sich. Um neue Räume für die Gemeindearbeit zu schaffen, baute der Evangelische Regionalverband die Lutherkirche von 2002 bis 2004 zum Gemeindezentrum um. Das alte Gemeindehaus wurde verkauft. Es gab einen Anbau an die denkmalgeschützte Kirche. Links und rechts vom Kirchturm entstanden Pylone mit großen Glasflächen und ein neues Kirchenportal. Die Empore wurde in das Kirchenschiff hinein verlängert, so entstand im Erdgeschoss ein großzügiges Foyer verbunden mit einem neuen Gemeindesaal mit Zugang zum Freigelände des Lutherkindergartens.

Doch ist der Stadtdekan kein Immobilien-Tycoon, sondern sieht sich eher als Mediator mit sozialer Verantwortung. "Soll ich Wohnungen möglichst billig vermieten, dafür aber Jugendhäuser schließen?", fragt er sich. Vermietet werden die Frankfurter Wohnungen nach der ortsüblichen Vergleichsmiete von sieben bis acht Euro pro Quadratmeter, das sei weniger, als der Markt hergebe. Und wenn Grundstücke verkauft werden, dann nur in Erbpacht und an Bestandshalter. Die Errichtung von Eigentumswohnungen und spekulativer Weiterverkauf sind in der Regel ausgeschlossen. Eine Sozialauswahl bei den Mietern gibt es indes nicht. Die Ein- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen werden zunächst über die Mitarbeitervertretung angeboten, dann auf dem freien Markt, aber "deutlich unter dem Preis für Neubauten". 

Als evangelischer Stadtdekan für Frankfurt und Offenbach und Immobilienverwalter ist Achim Knecht an einem Ausgleich zwischen den Interessen von Mietern und dem sozialen Auftrag der Kirche gelegen.

Eine Sozialauswahl treffe die Kirche nicht, sagt Knecht, doch sorgten die niedrigeren Mieten für eine entsprechende Nachfrage. Noch weniger zahlen die Menschen in den Seniorenwohnanlagen, "teilweise unter fünf Euro pro Quadratmeter". Damit leiste die Kirche einen Beitrag zum sozialen Frieden. Andererseits sei der Bauunterhalt dadurch "ein ganz großes Problem", betont Knecht. Aus diesem Grund sieht er auch die Debatte um die Mietpreisbremse skeptisch. Es sei immer wohlfeil, nur einen Bereich zu betonen, ihm gehe es um den vernünftigen Ausgleich der Interessen. Beim finanziellen Erlös müsse er auch die Verantwortung für soziale Einrichtungen und die Gemeindearbeit mitberücksichtigen, die durch solche Querfinanzierungen gesichert werden. 

Was etwa bei Berliner Stadtrundfahrten einen Hinweis wert ist – Kirchen, in die platzsparend Kita- und Gemeinderäume eingebaut wurden - diese Synergie-Effekte haben die Frankfurter schon ausgelotet. 20 Jahre lang sind diverse Gebäudekonzepte geprüft worden, nun sei das Potential erschöpft – so wie bei der Luthergemeinde im Frankfurter Nordend. Dennoch gibt es weitere Herausforderungen. Der Regionalverband Frankfurt ist Anfang 2019 mit den Offenbacher Nachbarn zusammengegangen. Dort soll nun in den nächsten zwei bis drei Jahren geprüft werden, wie die kirchlichen Gebäude künftig sinnvoll verkleinert und besser genutzt werden können. 

Auf dem Wohnungsmarkt gebe es jedenfalls einen erheblichen Nachholbedarf an öffentlichen Investitionen, betont Knecht. Der evangelische Regionalverband sei daher auch Mitglied in der Sozialpolitischen Offensive Frankfurt, die sich für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus einsetzt. Stadtweit müssten dafür jährlich mindestens 1.000 geförderte Wohnungen zur Verfügung gestellt werden. Die Stadt plant einen neuen Stadtteil mit 10.000 Wohnungen, aber die Umlandkommunen sperren sich.

Doch schon im Kleinen gibt es Protest, wenn sich etwa Anwohner beschwerten, dass die verwilderte Grundstücksfläche eines Kirchengrundstücks plötzlich bebaut werden solle, beklagt Knecht. Ob die Kirche aus ihrer Erfahrung auch als Mediator bei Konflikten beim Ausbau von Siedlungsfläche fungieren könne? Knecht winkt ab: "Wir haben genügend Vermittlungsarbeit innerhalb unserer Organisation." Für mehr Wohnungsbau seien im Zweifelsfall zwar alle, "aber bitte nicht in meiner Nachbarschaft". Auch deswegen winkt er mit dem Zaunpfahl in Richtung der Kommune und ihrer Bürger: "Der Gemeinsinn liegt mir am Herzen, er sollte auch der Stadt am Herzen liegen".