Bremen (epd). Bremer Wissenschaftler haben einen "erheblichen Personalmehrbedarf" in deutschen Altenpflegeheimen errechnet. Das ist das Ergebnis eines Verfahrens, das sie entwickelt haben, damit der Personalbedarf in Einrichtungen bundeseinheitlich berechnet werden kann. Der Mehrbedarf werde zu "massiven Ausgabensteigerungen" führen, sagte Projektleiter Heinz Rothgang am Mittwochabend bei der Präsentation des Verfahrens vor Fachpublikum in der Bremer Arbeitnehmerkammer. Konkrete Zahlen durfte Rothgang noch nicht nennen.
Nach einer europaweiten Ausschreibung hatte das Bremer Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (SOCIUM) unter Leitung von Professor Rothgang 2017 den Zuschlag bekommen, das Verfahren zu entwickeln. Laut zweitem Pflegeverstärkungsgesetz muss es bis Ende Juni 2020 entwickelt und erprobt worden sein.
Der Auftrag des Gesetzgebers ging an die Pflegeverbände und -kassen, die zur Erfüllung verpflichtet wurden, fachlich unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen zu beauftragen. In der Entwicklung orientiere sich das Verfahren streng an der Pflegepraxis, sagte Rothgang. Zu den wichtigsten Ergebnissen zählt er die Erkenntnis, dass die derzeit gültige Fachkraftquote von 50 Prozent die Personalausstattung in der stationären Altenpflege nur unbefriedigend regelt. "Wir brauchen mehr Fachkräfte, vor allem aber mehr Assistenz- und Hilfskräfte", bilanzierte der Experte. Das gelte für alle Bundesländer, "auch für Bayern mit der derzeit besten Personalausstattung".
Werde das Verfahren eingesetzt, löse es die einheitliche Fachkraftquote durch heimindividuelle Qualifikationsstrukturen ab, sagte Rothgang. Das könne bedeuten, dass der Fachkraftanteil im Personalmix sinke. Umgekehrt gelte: "Höhere Pflegegrade in der Bewohnerschaft bedeuten einen höheren Fachkraftanteil."
Der Bremer Wissenschaftler unterstrich aber auch, dass mehr Personal nicht gleichzusetzen sei mit besserer Pflege. Arbeitsorganisation und Personalentwicklung seien ebenfalls wichtig. Ob und wie das Verfahren eingeführt wird, steht noch nicht fest. Rothgang empfahl ein stufenweises Verfahren hin zu mehr Personal, "und einen ersten Schluck aus der Pulle sofort, gleich im Juli 2020". Kurzfristige Gefahren wie ein Sperren von Betten aufgrund fehlender Pflegekräfte müssten hingenommen werden, damit die Situation mittelfristig besser werde.