Berlin (epd). Rund 60 Prozent der anspruchsberechtigten Senioren nehmen einer Studie zufolge keine Grundsicherung im Alter in Anspruch. Das führe zu verdeckter Armut, die durch den Bezug von Grundsicherung vermeidbar wäre, heißt es in einer am Mittwoch in Berlin vorgelegten Erhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Bei voller Inanspruchnahme dieser Sozialleistung würden die Einkommen der Senioren im Schnitt um 30 Prozent oder 220 Euro monatlich steigen. Die SPD plädierte dafür, die Anträge zu erleichtern und besser über den Rechtsanspruch zu informieren. Die Diakonie sprach von einem "erschreckenden Befund" des DIW.
Verdeckte Altersarmut lässt sich laut DIW nur schwer quantifizieren. Die Autoren der Studie haben deshalb Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet und in unterschiedlichen Szenarien geschätzt, wie vielen Haushalten Grundsicherung im Alter zustünde. Mit Hilfe der Angaben über den tatsächlichen Leistungsbezug ließ sich die Gruppe identifizieren, die zwar einen Anspruch hätte, diesen aber nicht geltend macht.
Demnach sind es knapp 62 Prozent oder hochgerechnet etwa 625.000 Privathaushalte, die auf das Geld verzichten. Besonders hoch ist die Quote bei Personen, die älter als 77 Jahre (73 Prozent) oder verwitwet (77 Prozent) sind. Vor allem aber nehmen diejenigen, die monatliche Beträge bis 200 Euro aus der Grundsicherung zu erwarten haben, diese oft nicht in Anspruch (80 Prozent).
Um durchschnittlich rund 30 Prozent würde das Einkommen der Haushalte steigen, wenn sie Grundsicherung in Anspruch nähmen. Das wären der Untersuchung zufolge 2.650 Euro mehr pro Jahr mehr.
"Vielen ist das Verfahren vermutlich zu aufwendig, gerade bei kleinen Beträgen. Oder sie wissen gar nicht, dass sie den Rechtsanspruch haben", vermutet Studienautor Hermann Buslei. Auch die Angst, als "Almosenempfänger" abgestempelt zu werden, könne eine Rolle spielen.
Wenn Unwissenheit, Stigmatisierung und Komplexität die Gründe für die Nichtinanspruchnahme von Grundsicherung seien, dann müsse die Politik reagieren, hieß es. Das Informationsangebot müsste verbessert werden, um beispielsweise die unbegründete Angst vor dem Rückgriff auf das Einkommen oder Vermögen der Kinder zu nehmen.
Mitautor Peter Haan sagte, "eine vereinfachte Antragstellung und weniger Bürokratie könnte ein effizienter Weg sein, um die verdeckte Altersarmut etwas einzudämmen. Abschaffen kann man sie nur, wenn die Leistungen ohne Beantragung ausgezahlt würden." Erstellt wurde die Untersuchung vom Forschungsnetzwerk Alterssicherung mit Förderung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund.
Die SPD-Abgeordnete Katja Mast sagte, es sei "Aufgabe des Staates dafür zu sorgen, dass die Grundsicherung auch ankommt bei denen, die einen Anspruch darauf haben". Sie warb für den Abbau bürokratischer Hürden: "Wir dürfen nicht akzeptieren, dass mehr als jeder zweite Anspruchsberechtigte keinen Antrag auf Grundsicherung stellt."
"Es ist ein erschreckender Befund, dass fast zwei Drittel der von Armut betroffenen Senioren die ihnen zustehenden Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch nehmen", sagte Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland. Das Antragsverfahren sei bürokratisch und von umfassender Kontrolle geprägt. Aus Angst und Scham lebten deshalb viele arme Senioren von der Hand in den Mund. Loheide betonte, die Studie zeige, wie dringend nötig eine Grundrente sei.