Berlin (epd). Frauen, Selbstständige und Arbeitnehmer in prekären Jobs sind im Alter schlechter abgesichert als der durchschnittliche Arbeitnehmer, der ein Leben lang Rentenbeiträge gezahlt hat. Das geht aus dem aktuellen Rentenbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor, der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde.
Das Alterseinkommen von Frauen ist dem Bericht zufolge in Deutschland um 46 Prozent niedriger als das der Männer. Damit ist die Rentenlücke fast doppelt so hoch wie im OECD-Durchschnitt (25 Prozent). Deutschland wird gefolgt von den Niederlanden, Österreich und Großbritannien. Am geringsten ist die Lücke in den osteuropäischen und den meisten skandinavischen Ländern.
Die überdurchschnittlichen Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern und der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung führten dazu, dass die Rentenansprüche von Frauen voraussichtlich weiter hinter denen der Männer zurückbleiben werden, hält der OECD-Rentenbericht fest. Die Leiterin der Abteilung Sozialpolitik bei der OECD, Monika Queisser, sagte, die Probleme lägen im Arbeitsmarkt: "Es wäre zu viel verlangt vom Rentensystem, wenn es das ausgleichen sollte."
Der durchschnittliche Selbstständige steht ebenfalls im Alter nicht besonders gut da. Den Berechnungen zufolge kann er im Durchschnitt mit 50 Prozent der Altersbezüge rechnen, die einem Arbeitnehmer mit gleicher Karriere zustehen. Deutschland liegt damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt (80 Prozent). Einschließlich ihrer Vermögenswerte liegen die Altersbezüge der Selbstständigen in Deutschland aber nur knapp unter denen von Arbeitnehmern. Damit rangiert Deutschland im Mittelfeld. In Ländern wie Belgien, Dänemark, Frankreich, Schweden, Luxemburg und der Schweiz haben Selbstständige im Alter im Durchschnitt mehr Geld zur Verfügung als Arbeitnehmer.
Die OECD-Berechnungen dokumentieren die lückenhafte Altersabsicherung der Selbstständigen in Deutschland. Die Bundesrepublik ist eines der wenigen OECD-Länder, die keine verpflichtende Rentenversicherung für Selbstständige haben. Bei Solo-Selbständigen ist zudem die freiwillige Vorsorge fürs Alter seit 2000 noch weiter zurückgegangen. Selbstständigkeit ohne ausreichende Vorsorge kann laut OECD-Bericht ebenso wie Teilzeitarbeit, Befristung oder Plattformarbeit zu Altersarmut führen. Inzwischen machen diese atypischen Beschäftigungsverhältnisse mehr als ein Drittel aller Jobs aus.
Die Koalition in Berlin plant die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung, wenn sie nicht anderweitig, etwa über berufsständische Versorgungswerke, obligatorisch versichert sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dazu nach Auskunft einer Ministeriumssprecherin bis zum Frühjahr 2020 einen Gesetzentwurf vorlegen.
Große Fortschritte attestiert der OECD-Bericht Deutschland bei den Beschäftigungsraten älterer Arbeitnehmer. Mit einer Steigerung um 34 Prozent seit 2000 bei den 55- bis 64-Jährigen ist die Bundesrepublik Spitzenreiter unter den Industrieländern. Die OECD spricht sich für längere Lebensarbeitszeiten aus und plädiert dafür, das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.
Insgesamt rechnet der OECD-Rentenbericht damit, dass die deutschen Renten künftig unter dem OECD-Durchschnitt liegen werden und insbesondere die Geringverdiener deutlich geringere Altersbezüge im Vergleich zu ihrem Lohn haben werden als Geringverdiener in anderen Industrieländern. Die Bundesregierung müsse daher gezielt gegen Altersarmut vorgehen, hieß es.
Der OECD-Rentenbericht erscheint alle zwei Jahre. Er vergleicht und bewertet die Rentensysteme der 36 Mitgliedsländer und dokumentiert die Reformbemühungen der Regierungen. Die OECD hat ihren Hauptsitz in Paris.