Berlin (epd). Die Gewerkschaft ver.di sowie die Verbände AWO und Diakonie haben eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung gefordert. Die Bundesregierung dürfe nicht länger ignorieren, "dass es extremen Handlungsdruck gibt", sagte ver.di-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler am Montag in Berlin. Die Organisationen sprachen sich für eine Pflegebürgerversicherung aus, die den Großteil der Kosten abdecken und die finanzielle Belastung für die Betroffenen kalkulierbar machen soll. Dabei verwiesen sie unter anderem auf die stark gestiegenen Eigenanteile für Heimunterbringungen.
Diakonie-Vorständin Maria Loheide sagte, die Kosten für die Pflegebedürftigen stiegen mit jeder Tariferhöhung. Die Leistungen der Pflegeversicherung seien aber gedeckelt. Dadurch müssten Erhöhungen vollständig von den zu Pflegenden, Angehörigen oder dem Sozialamt finanziert werden, erläuterte Loheide. Sie forderte zumindest ein Einfrieren der Eigenanteile auf dem heutigen Niveau, mittelfristig auch eine Reduzierung.
Bühler erläuterte, die derzeitige Situation führe dazu, dass insbesondere dort die Eigenanteile steigen, wo sich die Gehälter der Pflegekräfte am meisten erhöhen. Sie wolle nicht, dass ausgerechnet die Träger in einen Wettbewerbsnachteil kommen, die gute Verträge abschließen, sagte sie.
Pflegebedürftige müssen für einen Heimplatz immer tiefer in die Tasche greifen. Nach einer im September veröffentlichten Auswertung der "Pflegedatenbank" des Verbandes der privaten Krankenversicherung (PKV) liegt die Eigenbeteiligung im Durchschnitt bei fast 1.930 Euro im Monat. Die Durchschnittsrente liegt nach Angaben des Paritätischen Wohlfahrtsverbands mit 874 Euro (West) und 1.019 Euro (Ost) deutlich darunter.
Zu den Forderungen der Sozialverbände gehört auch die nach einer besseren Bezahlung von Fachkräften in der Pflege. "Es darf nicht sein, dass eine Arbeit an Maschinen bei gleicher Qualifikation höher angesehen ist und besser bezahlt wird als Arbeit an Menschen", sagte der AWO-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Stadler. Derzeit laufen zwischen den Trägern von Pflegeeinrichtungen und Gewerkschaften Verhandlungen über einen Tarifvertrag, der für die Branche allgemeinverbindlich werden könnte.
Wie viel eine Pflegebürgerversicherung kosten würde, wollten ver.di und die Verbände nicht konkret beziffern. Loheide sprach sich für einen Finanzierungsmix aus gegebenenfalls höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung, Abgaben auf Miet- und Kapitaleinnahmen sowie eventuell einem Steuerzuschuss aus.
Bühler verwies auf eine im September veröffentlichte Studie des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Nach Rothgangs Berechnungen müssten gesetzlich Versicherte für eine Pflegevollversicherung rund 65 Euro im Jahr mehr zahlen, Arbeitgeber 25 Euro. Der Beitrag zur Pflegeversicherung beträgt derzeit 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, für Kinderlose 3,3 Prozent.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte zu den Forderungen der Verbände, die Kosten würden steigen. Damit dies Pflegebedürftige und Angehörige nicht überfordere, brauche es einen fairen Ausgleich. "Wir müssen die Balance zwischen der familiären Verantwortung und der der Gesellschaft neu justieren", sagte Spahn. Die Kosten der Pflege sollten für die Familien planbarer werden. "Diese Debatte will ich kommendes Jahr zu einer Entscheidung führen", erklärte er.