Davon abgesehen hat sich die Reihe leider auch von der Qualität der ersten beiden Episoden (2016) entfernt. Schon der dritte Fall, „Es ist nicht vorbei“ (2018), hatte nicht mehr die Intensität des zweiteiligen Auftakts, erzählte aber immerhin eine fesselnde Geschichte, die in die DDR zurückreichte. „Für immer schweigen“ ist dagegen ein handelsüblicher Krimi, der sich zudem eines gesellschaftlich relevanten Themas annimmt. Mitunter wirkt „Für immer schweigen“ sogar, als sei die Kritik am Gesundheitssystem der eigentliche Motor des Projekts gewesen.
Die Handlung beginnt mit einer Verfolgungsjagd: Ein Mann flieht vor Nora Weiss in einen Rohbau, klettert aufs Gerüst, kann sich nicht mehr halten und fällt in die Tiefe, als ihm die Kommissarin eine helfende Hand verweigert. Allerdings hat Karl Strasser (Ole Puppe), mutmaßlicher mehrfacher Vergewaltiger, den Sturz überlebt, und natürlich muss Nora nun um ihre Karriere fürchten. Zwar steht Aussage gegen Aussage, aber die Kommissarin hat schon zuviel auf dem Kerbholz, um sich eine weitere interne Ermittlung leisten zu können. Der dank einer allzu dünnen Indizienlage freigelassene Strasser wird fortan als personifizierte Nemesis und ständige Bedrohung durch ihr Leben schleichen.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Die eigentliche Geschichte ist jedoch eine ganz andere, und die ist deutlich weniger packend; auf diese Weise entsteht der Eindruck, als habe das Psychoduell mit dem Vergewaltiger wenigstens für etwas Spannung sorgen sollen. Die beiden Ebenen haben zudem rein gar nichts miteinander zu tun, entpuppen sich also nicht etwa am Schluss als zwei Facetten desselben Falls. Einzige Überschneidung ist der aus Syrien stammende Chirurg Al-Salim, der Strasser behandelt und kurz darauf bei der Explosion seines Autos ums Leben kommt. Schade auch, dass sich das Mitraten für Couchkriminalisten fast schon erledigt hat: Taucht ein prominenter Schauspieler als Gastdarsteller in einer Krimireihe auf, ist er unter Garantie der Mörder; es sei denn, seine Besetzung soll das Publikum in die Irre führen.
Mathias Klaschka hat fast alle Drehbücher für die vorzügliche ZDF-Reihe „Kommissarin Heller“ und auch die drei bisherigen „Solo für Weiss“-Krimis geschrieben. Falls das Drehbuch nicht unter der Umsetzung gelitten hat (was durchaus vorkommen kann), liegt „Für immer Schweigen“ deutlich unter seinem gewohnten Niveau. Ein reines Ablenkungsmanöver ist zum Beispiel ein tragisches und in unnötiger Breite erzähltes Ereignis: Vor Kurzem ist ein kleiner Junge an den Folgen einer Mandeloperation gestorben. Die Mutter (Johanna Gastdorf ist streng genommen zu alt für die Rolle) gibt dem ermordeten Chirurgen die Schuld am Tod ihres offenbar zu früh aus dem Krankenhaus entlassenen Kindes, der erwachsene Bruder des Jungen hat Al-Salim zudem Drohbriefe geschrieben, und weil sich der Mann außerdem mit Sprengstoff auskennt, scheint der Fall klar; aber für Nora passt das alles viel zu gut zusammen.
Die Nebenebene wirkt allerdings wie ein Vorwand, die Profitfixierung selbst staatlicher Kliniken anzuklagen. Maren Eggert hat als Anästhesistin Ines Geissler im Grunde nur die Aufgabe, auf die permanente Überlastung der Ärzte und weitere Missstände hinzuweisen: Al-Salims Stelle sei im Nu wieder besetzt worden, weil Krankenhäuser nur mit Operationen Geld verdienen; auf Pfleger warte man vergeblich. Aus ähnlichen Motiven ist auch der Junge vorzeitig heimgeschickt worden („blutige Entlassung“ im Fachjargon): weil Betten möglichst rasch für neue Patienten werden sollen. Natürlich ist das ein Skandal, und selbstverständlich kann sich auch ein Krimi dieses Themas annehmen; aber die Geschichte darf nicht zum bloßen Vehikel einer Botschaft werden. Gerade bei einem erfahrenen Autor wie Klaschka erstaunt es umso mehr, dass die Handlung insgesamt sehr konstruiert wirkt. „Für immer schweigen“ unterscheidet sich vom Alltagskrimi letztlich nur noch durch die Hauptfigur und ihre klirrend kalte Verkörperung durch Anna Maria Mühe.
All’ das hat womöglich nicht zuletzt mit der Regie zu tun. Die Filmografie von Maria von Heland enthält zwar auch den ersten „Julia Durant“-Krimi („Jung, blond, tot“, 2018, Sat.1), aber ansonsten hat die gebürtige Schwedin zuletzt neben mehren Märchenfilmen vor allem als Komödien kaschierte Familiendramen gedreht: fürs ZDF „So einfach stirbt man nicht“ (2019), für die ARD-Degeto „Eltern und andere Wahrheiten“ (2017). Das erklärt, warum „Für immer schweigen“ in erster Linie in den zwischenmenschlichen Szenen überzeugt. Das Misstrauen Noras gegenüber ihrer Freundin zum Beispiel entsteht gewissermaßen zwischen den Bildern und ist vor allem eine Frage der Atmosphäre. Die kühlen Winterbilder (Kamera: Moritz Anton) entsprechen perfekt dem Wesen der Hauptfigur, weshalb die gelegentlichen trocken humorvollen Dialoge umso verblüffender sind. Die verschiedenen Verfolgungsjagden wirken dank agiler Kamera, passender Musik und flottem Schnitt zwar angemessen temporeich, aber richtig packend ist erst die letzte Szene, als es in Noras Haus zum finalen Zweikampf mit Strasser kommt.