Die evangelische Kirche und der Frieden – das ist eine lange Geschichte mit einigen Höhepunkten. Da wäre zum Beispiel der denkwürdige Kirchentag 1983 in Hannover – die Geburtsstunde der lila Tücher, mit denen die Abkehr von Massenvernichtungswaffen gefordert wurde. Oder in der Folge die starke Präsenz kirchlicher Friedensgruppen in der Ostermarschbewegung. Und natürlich auf der anderen Seite die Militärseelsorge beispielsweise, die keinen ganz so pazifistischen Friedensbegriff vertritt. In konservierte Form gegossen hat die gesamtkirchliche Haltung zum Thema "Frieden" zuletzt die EKD-Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen" im Jahr 2007.
Diesen Text mittels einer Synodenkundgebung aus heutiger Sicht zu aktualisieren, das hat man sich auf der EKD-Synodentagung 2019 in Dresden vorgenommen. Nicht weniger als zwei Jahre hat man sich zur Vorbereitung dafür Zeit genommen und auch einen Reader in Buchform dazu veröffentlicht. Das alleine zeigt, dass sich der Blick geweitet hat – und dass dieser Prozess nicht zuletzt auch ein Ringen um eine eindeutige Position ist.
Nach dem einführenden Themenabend ist es der badische Landesbischof Cornelius Bundschuh, der in einem Vortrag die theologischen Grundlagen zum Schwerpunktthema "Auf dem Weg zu einer Kirche der Gerechtigkeit und des Friedens" skizziert. Die Basis sei die Liebe Christi, sie dränge zur Versöhnung und bewege und trage im Friedenshandeln, sie verpflichte Christinnen und Christen, den Opfern beizustehen: "Christus ist unser Friede. Seine Liebe drängt uns, Frieden zu stiften." Der Friede Gottes allerdings sei viel umfassender, als es ein menschlicher je sein könne, so Bundschuh, er ringe mit den Mächten der Welt. Besonderes Gewicht komme der Ökumene zu, so Bundschuh, sie sei "Der Leib der Friedensbewegung Gottes".
Mit Blick auf den kirchlichen Beitrag zum Frieden in der Welt betont der Landesbischof, eine große Stärke der Kirche liege in ihrem Agieren innerhalb des Gemeinwesens. "Wir können dazu beitragen, dass die Menschen sich nicht in segmentierte Welten zurückziehen, sondern sich gemeinsam verantwortlich fühlen für den Frieden vor Ort und in der Welt." So müssten sich die Kirchen für den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen einsetzen: "Jeder militärisch ausgetragene Konflikt ist eine politische Niederlage!"
Einen der neuen Aspekte kirchlichen Friedenshandelns macht dann Kira Finke vom Potsdam-Institut für Klimaforschung in ihrem Beitrag deutlich. Sie legt eindrücklich dar, wie die Folgen des Klimawandels immer häufiger nicht nur zu Migrationsbewegungen, sondern auch – zumindest als Auslöser - zu bewaffneten Konflikten führen. "Ohne Klimaschutz kein Frieden und ohne Klimaschutz keine Gerechtigkeit", sagt Vinke, die auch dem Beirat Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung angehört. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch im Erfahrungsbericht einer kirchlichen Delegation von einer Kenia-Reise wider, die einige Synodale kürzlich unternommen haben.
Klimawandel und autonome Waffensysteme als neue Herausforderungen
Die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Friedenshandeln von Christinnen und Christen können im weiteren Verlauf erfahrbar werden, als zuerst Bundeswehr-Oberstleutnant Mathias Meierhuber militärische Einsätze ebenfalls als Friedensarbeit begreift. Er ist der Meinung, dass trotz Vorrang des Zivilen auch Gewalt als Ultima Ratio dem Bösen "als Rad in die Speichen fallen" müsse. Direkt im Anschluss berichtet Wolfram Metzig-Eisner von seinem Einsatz als zivile Friedensdienstfachkraft in einem Projekt von Brot für die Welt in Kamerun, wo er vor allem zivile Konfliktbewältigungsstrategien vermittelte.
Für den Einbringer der Synodenkundgebung, den Friedensbeauftragten des Rates der EKD, Renke Brahms, ist seit der EKD-Denkschrift immer noch genau dieser Vorrang der Gewaltfreiheit und der zivilen Konfliktlösung vor militärischen Optionen als Leitbild für einen gerechten Frieden wesentlich. Erfahrungen aus den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum Beispiel in Afghanistan hätten ernüchternde Ergebnisse mit sich gebracht. Neu sei allerdings die Herausforderung, nachhaltiges Handeln im Klima- und Umweltschutz – auch des Einzelnen – als Friedenshandeln zu begreifen. Zu den neuen Herausforderungen zählen nach seinen Worten außerdem auch die ethische Bewertung autonomer Waffensysteme und das Handeln im europäischen Kontext. Und nicht zuletzt das endgültige Ächten und Verbieten sämtlicher Atomwaffen.
Genau das aber stößt in der Diskussion im Synodenplenum wieder auf Kritik: Nicht nur, dass man sich der politischen Einflussmöglichkeiten in internationalen Bündnissen beraube, wenn man sich der Stationierung von Atomwaffen verweigere - man unterschätze auch, wie groß die Gefahr sei, die von anderen Massenvernichtungswaffen, chemischer und vor allem biologischer Art, ausgehe. Genau bei den chemischen Waffen aber habe doch die internationale Ächtung zu großen Erfolgen geführt, so die Replik des Ratsvorsitzenden.
Besonders strittig scheint allerdings unter den Synodalen – und laut Heinrich Bedford-Strohm auch in der internationalen Ökumene – die Umsetzung der sogenannten "Responsibilty To Protect" zu sein: der moralischen Verpflichtung bzw. Verantwortung, vor allem Unbeteiligte bei Konflikten zu schützen. Ob dazu Waffengewalt notwendig ist oder nicht, darüber wird in diversen Zusammenhängen gestritten. Renke Brahms zum Beispiel ist der Meinung, dass erfolgversprechende sogenannte "rechtserhaltende Zwangsmittel" nicht unbedingt militärischer Natur sein müssten. Unstrittig scheint hingegen die Forderung zu sein, den Vorrang des Zivilen in einem ganz einfachen Punkt klarzumachen: Das Verhältnis der finanziellen Mittel zur zivilen Konfliktlösung zu denen der militärischen im Staatshaushalt endlich umzukehren. So dass es vielleicht zumindest heißen könnte: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen…