"Für mich war eine Scheidung nie vorgesehen." Der das sagt, ist pensionierter Pfarrer der württembergischen evangelischen Landeskirche: Johannes Kiuntke und seine erste Frau gingen nach über 30 Jahren Ehe getrennte Wege. Für Kiuntke war das ein Fiasko. Heute bietet der 67-Jährige gemeinsam mit seiner zweiten Frau Traute Seminare für Menschen in Trennung und Scheidung an.
In Deutschland wurden 2018 laut Statistischem Bundesamt mehr als 148.000 Paare geschieden. Das Ende einer Ehe wird immer als Scheitern empfunden, sagt der Theologe Kiuntke. Für gläubige Christen sei eine Scheidung meistens ein größerer Schock. Das Jesus-Wort "Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden" (Matthäus-Evangelium, Kapitel 19, Vers 6) klingt ihnen im Ohr.
So ging es auch Kiuntke. Als Pfarrer hat er viele Paare getraut, als Seelsorger mancher Ehe aus der Krise geholfen. Gemeinsam mit seiner ersten Frau bot er in Sachsenheim bei Ludwigsburg sogar Kurse für Paare an, um deren Beziehung zu festigen.
Nach der Silbernen Hochzeit wurde es allerdings in der eigenen Ehe immer schwieriger. Kiuntke macht letztlich die Persönlichkeitsunterschiede dafür verantwortlich, die in seinem Fall erst nach Jahrzehnten so richtig hervorgebrochen seien. Aufgrund der familiären Prägung sei seine Frau lange Zeit Streitigkeiten aus dem Weg gegangen; er selbst habe das Streiten nie gelernt. Irgendwann ließen sich die Differenzen nicht mehr unter den Teppich kehren - das Paar trennte sich.
Sie stammt aus einer Scheidungsfamilie
Seine heutige Frau Traute lernte er über eine Partnervermittlung im Internet kennen, vor zehn Jahren haben sie geheiratet. Für die heute 62-jährige Klavierlehrerin mit psychologischer Ausbildung ist es die erste Ehe. Sie stammt aus einer Scheidungsfamilie, hat bei ihren Eltern einen heftigen Rosenkrieg erlebt, wie sie erzählt: "Da überlegt man sich dreimal, ob man sich bindet."
Mit ihrem Seminar "lieben - scheitern - leben" wollen sie nun Menschen helfen, die in Trennung leben oder ihre - manchmal Jahre zurückliegende - Scheidung nicht verarbeitet haben. Grundlage ist ein entsprechendes Programm aus der anglikanischen Gemeinde "Holy Trinity Brompton" in London, die auch den weltweit meistgenutzten christlichen Glaubenskurs, den "Alpha-Kurs", entwickelt hat. Allerdings haben Johannes und Traute Kiuntke das Material aufgrund ihrer psychologischen Weiterbildungen angepasst.
Schlimme Erfahrung als stärkende Ressource
Ganz unterschiedliche Menschen kommen in die Kurse. Kiuntkes berichten von einer Frau, deren Mann sich nach vielen Jahren Ehe als homosexuell geoutet hatte. Eine andere Frau verließ ihren alkoholkranken Mann, weil sie unter seinem Verhalten schwer zu leiden hatte. Sie habe sich fortgesetzt schuldig gefühlt, weil sie mit diesem Mann nicht mehr zusammenleben konnte.
Im Seminar erklären die Kiuntkes den Teilnehmern die verschiedenen Phasen, die man während und nach der Trennung durchmache. Das sei vergleichbar mit einem Trauerprozess, den man nach dem Verlust eines geliebten Menschen erlebe. Die unschöne Botschaft: Man muss alle Phasen durchlaufen. "Es gibt keine Abkürzungen", sagt der pensionierte Pfarrer. Die gute Botschaft: Betroffene können ihre Erfahrung in eine Ressource verwandeln, die sie für den weiteren Lebensweg stärker macht.
Für die Seminarteilnehmer und - teilnehmerinnen, in der Regel sind rund 80 Prozent Frauen, sei es ein entlastendes Erlebnis, anderen Menschen zu begegnen, denen ähnliches widerfahren sei, erläutert Johannes Kiuntke. Der Prozess solle sie ermutigen. "In unseren Seminaren wird viel gelacht", sagt Traute Kiuntke.
Die katholische Kirche betrachtet die Ehe als Sakrament, weshalb eine kirchliche Trauung von Geschiedenen nicht möglich ist - es sei denn, die erste Ehe wird kirchenrechtlich annulliert. Auch die evangelische Kirche hält an der Vorstellung einer lebenslangen Ehe fest, zeigt sich aber offener fürs Scheitern. Johannes und Traute Kiuntke wollen Geschiedene zu einem Neuanfang befähigen - unabhängig davon, ob sie noch einmal heiraten wollen.