Zerfall der Kirche St. Marien in Kirchnüchel
© epd-bild/Nadine Heggen
Pastorin Anja Haustein hofft auf Geld aus Berlin, um St. Marien erhalten zu können. Auch Künstler wie der norddeutsche Musiker Rocko Schamoni haben die trutzige Kirche als Drehort für Musikvideos entdeckt.
Schleswig-Holsteins höchst gelegene Kirche vom Verfall bedroht
St. Marien in Kirchnüchel ist bei Pilgern und Videokünstlern beliebt
Süddeutsche mögen über den Superlativ von Kirchnüchel nur müde lächeln. Aber auf ihrem 116 Meter hohen Hügel ist St. Marien die höchstgelegene Kirche Schleswig-Holsteins. Wetter und Bausünden haben ihr arg zugesetzt. Das Kleinod ist in Gefahr.

Die weiße Feldsteinkirche St. Marien in Kirchnüchel (Kreis Plön) glänzt eher mit lässigem Understatement als durch protzige Architektur. Dabei hätte das evangelische Kirchlein durchaus Grund zur Prahlerei: Seit 760 Jahren thront es auf einem 116 Meter hohen Hügel nahe am Bungsberg und ist damit die höchstgelegene Kirche in Schleswig-Holstein.

Die St. Marien-Kirche von Kirchnüchel ist die höchstgelegene Kirche in Schleswig-Holstein.

Zudem hat die einstige Wallfahrtskapelle Fans in ganz Deutschland, die nach St. Marien pilgern. Die Kirchengemeinde ringt allerdings um den Erhalt des Kleinods: St. Marien ist dringend sanierungsbedürftig.

Auch Künstler wie der norddeutsche Musiker Rocko Schamoni haben sie als Drehort für Musikvideos entdeckt. In dem Video zu seinem neuesten Song "Dein Gesicht" spaziert er durch St. Marien und bleibt am kerzenerleuchteten Altar stehen. Die Idee, gerade in dieser Kirche zu drehen, hatte sein Produzent Sören alias Ritchy Fondermann. Der Hamburger Musiker ist in Kirchnüchel aufgewachsen: "Meine Oma liegt auf dem Friedhof begraben. Ich bin regelmäßig dort."

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Auch Rocko Schamoni, der aus dem benachbarten Lütjenburg stammt, war begeistert von der kleinen Feldsteinkirche. Am Altar singt er "Egal, was ich denk', egal, was ich tu', das was ich seh', lässt mir keine Ruh'" und spricht Pastorin Anja Haustein vermutlich aus der Seele. Schamoni verarbeitet in dem Song zwar den Tod seines Vaters, aber die Textstelle passt auch zum desolaten Zustand der Kirche.

Feuchtigkeit und Salze setzen der Kirche zu

Immer mehr Risse zeigen sich an den Wänden im Kirchenschiff, Feuchtigkeit schlägt sich nieder und nagt am Mauerwerk. Putz springt ab und im Glockenstuhl rottet das Holz. Bei einer Sanierung in den 1960er Jahren wurde Zementmörtel verwendet, um die Fugen zwischen den Feldsteinen zu verfüllen - ein Fehler, der in vielen Kirchen gemacht wurde: Der Mörtel dehnt sich nun aus wie Hefeteig und sprengt das Mauerwerk.

Mike Woehs vom Hamburger Architekturbüro Ewers, Dörnen und Partner zeigt die Risse im Mauerwerk von St. Marien.

"Die Kirche ist nicht mehr sicher. Wir können sie nur noch nutzen, weil Notmaßnahmen erfolgt sind", erklärt Pastorin Haustein. In dem angrenzenden Mausoleum der Grafenfamilie Brockdorff, das durch einen kleinen Gang mit der Kirche verbunden ist, sieht es ähnlich aus. Feuchtigkeit greift die feinen Stuckarbeiten an, Salze aus dem Wasser sprengen die Oberflächen. Die Sanierungskosten für die Kirche werden auf 615.000 Euro geschätzt, die für das Mausoleum auf 430.000 Euro.

Die Kirchengemeinde hat sich nun um Fördermittel vom Bund bemüht. Im November will der Haushaltsausschuss des Bundestages über das Schicksal von Kirchnüchel entscheiden. Der Bund könnte maximal die Hälfte der Kosten übernehmen. Den Rest müssten der Kirchenkreis, die Gemeinde und die Familie von Brockdorff aufbringen. Die Brockdorffs vom nahe gelegenen Gut Kletkamp sind Eigentümer des Mausoleums, das 1692 für Graf Cai Lorenz Brockdorff gebaut wurde. Für sie ist in der Kirche immer noch die letzte Reihe mit antikem Gestühl reserviert.

Heilige Quelle als Ursprung

80 Menschen haben in den Sitzbänken Platz Jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat wird hier Gottesdienst gefeiert. Bis zu 20 Kinder und Erwachsene werden pro Jahr getauft. Die zahlreichen Reisegruppen kommen auch wegen einer geradezu winzigen Kostbarkeit: Gerade einmal sieben Zentimeter misst die aus Elfenbein geschnitzte Madonna, die hinter einbruchsicherem Glas unweit des Altars an die mittelalterliche Marienverehrung an diesem Ort erinnert. Die Marienquelle in der Nähe der Kirche galt als heilig und war im 13. Jahrhundert vermutlich Anlass für den Bau der Kapelle.

Deutlich jünger sind die bunten Fenster, die der Hamburger Bankdirektor Wilhelm Huth 1971 der Kirche stiftete. An sonnigen Tagen sorgen sie für ein intensives Licht im Kirchenschiff. Besuchern erklärt Anja Haustein geduldig die biblischen Überlieferungen, die die einzelnen Scheiben darstellen. Der Künstler Max Schegulla (1918-2008) hatte sich für St. Marien von den Fenstern der Synagoge der Universitätsklinik in Jerusalem inspirieren lassen, die in ihrer Farbwirkung besonders intensiv sind. Kein Wunder: Ihr Schöpfer war kein Geringerer als der französische Maler Marc Chagall (1887-1985).