Die jüdischen Gemeinden in Deutschland erfahren nach dem Anschlag in Halle eine Welle der Solidarität. In Halle sollte am Freitagabend auf Initiative des Landesbischofs der Evangelischem Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, als Zeichen der Solidarität eine Menschenkette um die Synagoge gebildet werden. In mehreren Städten wie Berlin, Köln, Düsseldorf und Hannover hatten sich bereits am Donnerstagabend Hunderte Menschen zu Mahnwachen und Gebeten versammelt. Der Bundesrat gedachte am Freitag in einem Moment der Stille der beiden Toten und der Verletzten des Anschlags nahe der Synagoge in Halle.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, wollte am Freitagabend an einer Lichterkette rund um die Münchner Synagoge Ohel Jakob teilnehmen. Bei einem multireligiösen Friedensgebet der Drei-Religionen-Stätte "House of One" in Berlin rief der Berliner Bischof Markus Dröge am Freitag zum Engagement gegen rechts auf.
"Wir denken an unsere jüdischen Geschwister, die heute den Sabbat feiern und dabei geschützt werden müssen vor denen, die Hass säen und den Tod bringen", sagte Dröge: "Wir stehen an ihrer Seite, wohl wissend, welche Erschütterung der Anschlag von Halle für die jüdischen Gemeinden in unserem Land bedeutet und wie viel Besorgnis und Angst er unter unseren jüdischen Geschwistern ausgelöst hat."
Mahnwachen in ganz Deutschland
Bereits am Vorabend hatten in Köln mehrere hundert Menschen gegen Antisemitismus demonstriert. Vor der Düsseldorfer Synagoge hielten ebenfalls am Donnerstagabend etwa 500 Menschen eine stille Mahnwache für die Opfer des Anschlags ab. In Hannover versammelten sich rund 400 Menschen zu einer Mahnwache und einem anschließenden Trauermarsch zum Holocaust-Denkmal.
Der nach dem Anschlag am Mittwoch festgenommene mutmaßliche Täter Stephan B. sitzt inzwischen in Untersuchungshaft und hat ein Geständnis abgelegt. Dabei habe er auch seine antisemitische und rechtsextremistische Motivation bestätigt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Freitag in Karlsruhe auf epd-Anfrage mit. Gegen den 27-jährigen Tatverdächtigen war noch am Donnerstagabend Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuches erlassen worden.
Sicherheit jüdischer Einrichtungen
Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollte der 27-Jährige in der Synagoge im Paulusviertel in Halle, in der sich am jüdischen Feiertag Jom Kippur 51 Gläubige aufhielten, möglichst viele Personen jüdischen Glaubens töten. Da die Eingangstür verschlossen war, konnte er jedoch nicht in das Gotteshaus eindringen. Daraufhin erschoss er eine zufällig vorbeikommende Passantin und später einen Mann in einem Döner-Imbiss. Den Angaben zufolge hatte der Beschuldigte vier Schusswaffen und mehrere Sprengsätze bei sich.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, erklärte, Bund und Länder seien "jetzt gefordert, noch einmal grundsätzlich über die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu beraten". Er kritisierte, dass die Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag nicht bewacht worden sei. "Ich halte das für fahrlässig", sagte er dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Freitag).
"Die Ereignisse von Halle stellen eine neue Dimension antisemitischer Straftaten in Deutschland dar", betonte Klein. "Ein Täter, der vorhatte, ein Massaker unter jüdischen Gläubigen anzurichten - so etwas gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nicht."
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) räumte Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus ein. "Ich bin der Meinung, dass wir vieles in diesem Land nicht in dieser Dramatik, in dieser Bedeutung wahrgenommen haben und dass es umso wichtiger ist, jetzt tatkräftig, entschlossen und konsequent als Rechtsstaat zu handeln", sagte sie am Donnerstagabend in den ARD-"Tagesthemen".