Düsseldorf (epd). Die Einkommen sind laut einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung in Deutschland so ungleich verteilt wie noch nie. Der Gini-Koeffizient, das gängigste Maß für Einkommensungleichheit, habe Ende 2016 mit einem Wert von 0,297 um zwei Prozent höher gelegen als 2005, wie eine am Montag in Düsseldorf veröffentlichte Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Stiftung zeigt. Im Vergleich zum Ende der 1990er-Jahre sei die Kennzahl sogar um rund 19 Prozent gestiegen. Politiker der SPD und der Linkspartei sehen Handlungsbedarf.
Der Gini-Koeffizient kann Werte von 0 bis 1 annehmen. Bei einem Wert von 0 besitzen alle gleich viel, während der Wert 1 für maximale Ungleichheit steht, bei der eine Person alles besitzt.
Trotz der über Jahre guten wirtschaftlichen Entwicklung wächst die Ungleichheit der Einkommen in Deutschland der Studie zufolge weiter. Das liege vor allem an zwei Faktoren: Gruppen mit hohen Einkommen hätten "von sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert". Zugleich seien die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen zurückgefallen. Die Mittelschicht habe dagegen von der guten Arbeitsmarktlage und Lohnsteigerungen profitiert.
Die Armutslücke ist der Studie zufolge zwischen 2011 und 2016 preisbereinigt um 29 Prozent gewachsen und um 779 Euro auf 3.400 Euro gestiegen. Diese Summe beziffert den Betrag, der armen Haushalten im Kalenderjahr rechnerisch fehlt, um die Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu überschreiten. Die Studie basiert auf der repräsentativen Befragung von 25.000 Menschen.
"Die aktuellen Daten zeigen, dass all jene Politiker und Ökonomen falsch liegen, die Entwarnung geben wollten, weil sich der rasante Anstieg der Einkommensspreizung nach 2005 zunächst nicht fortgesetzt hat", sagte Dorothee Spannagel, eine der Autorinnen der Studie. Zwar wachse die Ungleichheit aktuell tatsächlich deutlich langsamer. "Alles in allem haben wir den riskanten Weg zu größerer Ungleichheit immer noch nicht verlassen", warnte sie.
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, bezeichnete die zunehmende Ungleichheit als "Gift für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft": "Das ist nur zu beenden, wenn die Löhne spürbar steigen, Kapital- und Vermögenseinkünfte angemessen besteuert werden und eine große Steuerreform kleine und mittlere Einkommen spürbar entlastet."
Auch der SPD-Politiker Karl Lauterbach äußerte sich scharf: "Unser jetziges Wirtschaften produziert sozialen Unfrieden zu Lasten der Umwelt und unserer Kinder", schrieb er auf Twitter: "Eine gleichere Gesellschaft hätte eine bessere Lebensqualität."
Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, forderte angesichts der neuen Erhebung auf Twitter die Einführung einer Kindergrundsicherung und eine Grundrente. Der Paritätische fordert die Anhebung der Regelsätze in Hartz IV um mindestens 37 Prozent auf 582 Euro monatlich für alleinstehende Erwachsene.
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