Berlin (epd). Im Streit um die Aufnahme von geretteten Bootsflüchtlingen hat die EU-Kommission Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Rückendeckung gegeben. EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (online), Deutschland habe die Diskussion vorangetrieben, auch deshalb gebe es jetzt positive Fortschritte bei dem Thema. Vor dem Treffen der EU-Innenminister am Dienstag äußerte sich Avramopoulos zuversichtlich, dass mehr Mitgliedstaaten "berechenbaren und befristeten" Regelungen für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen zustimmen würden.
Seehofer hatte sich im September mit Frankreich, Italien und Malta auf einen Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge auf der zentralen Mittelmeerroute verständigt. Deutschland will jeden vierten geretteten Migranten aufnehmen, wenn genügend Staaten mitmachen. Dies war unionsintern auf Kritik gestoßen.
Avramopoulos wies Bedenken, der vereinbarte Notfallmechanismus für die aus Seenot geretteten Migranten werde zu einem "Pull-Faktor", zurück: Die Regelung dürfe nicht isoliert gesehen werden. Vorrangiges Ziel sei es, die Zahl der irregulären Ankünfte zu reduzieren, Schmuggler zu bekämpfen sowie die Rückführung irregulärer Migranten zu verbessern. "Wenn sich jedoch Migranten auf See befinden, was eine Ausnahme sein sollte, ist es unsere Pflicht, Menschenleben zu retten."
Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus war im Interview mit den Funke-Zeitungen (Samstag) auf Distanz zu Seehofers Plänen gegangen. "Wir dürfen Schlepperorganisationen nicht ermutigen, mehr zu machen", sagte er. Auch CDU-Präsidiumsmitglied Mike Mohring äußerte Zweifel: "Das Risiko der jetzt von Horst Seehofer angestrebten Zwischenlösung ist, dass sie zur Dauerlösung wird", sagte der CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober. Die Skepsis in diesem Punkt könne er gut nachvollziehen. Ziel der EU müsse bleiben, die Geretteten an die afrikanische Küste zurückzubringen. Nur das werde dem Schlepperunwesen dauerhaft die Grundlage entziehen.
Seehofer verteidigte indes seine Pläne zur Seenotrettung. Auf keinen Fall solle damit das "menschenverachtende Geschäft der Schleuser" unterstützt werden, sagte er der "Welt am Sonntag". Sollte der "Notfallmechanismus falsche Anreize setzen oder missbraucht werden", könne er ihn jederzeit für Deutschland beenden. Er sei entschlossen, dies bei Bedarf auch zu tun. Der Minister kündigte zudem Verhaltensrichtlinien für Seenotrettungsschiffe von Nichtregierungsorganisationen an.
Bei einer Reise nach Athen und Ankara hatte Seehofer am Wochenende beiden Ländern mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Migration zugesichert. Die Türkei und Griechenland seien beiderseits der gemeinsamen EU-Außengrenze seit Jahren stark belastet, erklärte er am späten Freitagabend in Berlin. Hier bedürfe es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern. An der Reise nahmen auch Avramopoulos und Vertreter Frankreichs teil.
Bei einer möglichen Unterstützung für die Türkei gehe es besonders um die Küstenwache und die Bekämpfung der Schleuserkriminalität, so Seehofer. In Griechenland könne etwa bei der Beschleunigung der Asylverfahren, beim Küsten- und Grenzschutz oder im IT-Bereich geholfen werden.
Laut "Welt am Sonntag" hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die bis Ende September dieses Jahres über die Türkei in die EU gekommen sind, drastisch erhöht. Sie liege derzeit bei 46.546, berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen ihr vorliegenden internen und vertraulichen Bericht der EU-Kommission. Dies bedeute einen Anstieg um 23 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum (37.837). Laut Prognose der griechischen Regierung würden bis Jahresende weiter 25.000 Migranten erwartet.
Seehofer forderte die EU-Regierungen in dem Blatt auf, mehr Geld zur Bewältigung der Migration für die Türkei freizugeben. Deren Leistung liege "in unser aller Interesse". Mehr Solidarität verlangte er von den EU-Mitgliedern auch für Griechenland, anderenfalls drohe eine "noch größere Flüchtlingswelle als 2015, sagte er der "Bild am Sonntag".
Der Bundesinnenminister war am Donnerstag und Freitag zu Gesprächen über den wackelnden Flüchtlingspakt nach Athen und Ankara gereist. Das EU-Türkei-Abkommen von 2016 sollte die Flucht in Booten über die Ägäis nach Europa stoppen. Zuletzt hatte die Türkei gedroht, wieder mehr Flüchtlinge in die EU zu lassen, weil sie zu wenig Geld als Hilfe zur Versorgung bekomme. Vereinbart waren Zahlungen von sechs Milliarden Euro für die Jahre 2016 bis 2019.
epd rks