Münster (epd). Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert warnt davor, den politischen Aufstieg der rechtspopulistischen AfD in Ostdeutschland überzubewerten. Rechtsnationale Parteien gebe es in ganz Europa, sagte der Migrationsforscher am Montagabend in Münster. Er erlebe auch eine kämpferische Gesellschaft in Deutschland, die den Aufstieg der AfD nicht hinnehmen wolle. Das setze allerdings voraus, die Themen, die die AfD groß gemacht hätten, ernst zu nehmen. Beim Klimaschutz tue sich nun ein neues Konfliktfeld zwischen Generationen und verschiedenen Bevölkerungsschichten auf.
Ostdeutschen warf Herbert vor, noch in der "Ära Kohl" der Nachwendezeit zu verharren. Mit der Globalisierung und dem ihrer Ansicht nach "ungezügelten Zuzug von Ausländern" kämen sie nicht zurecht, sagte er. Für sie seien es zu viele Veränderungen in kurzer Zeit gewesen, was sie überfordere. Die eigene "kommode Situation" wiege die ihrem Empfinden nach herrschende "Schrecklichkeit der Verhältnisse" nicht auf, erläuterte Herbert. Viele hätten den Eindruck, Zugewanderte beanspruchten einen Platz in der ersten Reihe, anstatt sich hinten anzustellen, sagte er in einer Podiumsdiskussion in der Reihe "Dialoge zum Frieden" der Stadt Münster.
Die Frankfurter Islamwissenschaftlerin und Ethnologin Susanne Schröter sagte, der deutschen Einwanderungsgesellschaft fehle es an Gemeinsamkeiten: "Man schaut nicht mal mehr die selben Fernsehprogramme, der Individualismus nimmt zu." Akademiker schickten ihre Kinder auf Privatschulen und Internate, es entstünden Quartiere der Reichen. Bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund spiele die ethnische Identität eine immer größere Rolle, erklärte sie. In der Folge gebe es eine Krise der Institutionen. Volksparteien, Gewerkschaften und Kirchen seien geschwächt.
Die Stadt Münster, wo 1648 das Ende des Dreißigjährigen Krieges mit dem "Westfälischen Frieden" besiegelt wurde, richtet in Anlehnung daran die Dialogreihe aus. Die "Dialoge zum Frieden 2019" enden am 25. November.