Oldenburg (epd). Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat fünf ehemalige Vorgesetzte des wegen 85-fachen Mordes verurteilten früheren Krankenpflegers Niels Högel angeklagt. Den Beschäftigten des Klinikums Oldenburg werde Totschlag durch Unterlassen vorgeworfen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Trotz deutlicher Hinweise hätten sie Högel bei den Morden an Patienten nicht gestoppt. Am Nachmittag bestätigte das Klinikum auf Nachfrage, dass zwei der Angeklagten mit sofortiger Wirkung freigestellt wurden. Die drei weiteren Angeklagten arbeiten nicht mehr in der Klinik. Zuerst hatte die Oldenburger "Nordwest-Zeitung" darüber berichtet.
Angeklagt sind dem Sprecher zufolge der langjährige Geschäftsführer, die damalige Pflegedirektorin, der ehemalige Chefarzt der Herzchirurgie, der Chefarzt der Anästhesie sowie ein Stationsleiter. Dem Geschäftführer und der Pflegedirektorin werden jeweils 63 Fälle vorgeworfen, einem Chefarzt 60 Fälle, dem zweiten Chefarzt und dem Stationsleiter je drei Fälle. Ihnen drohen zwischen fünf und 15 Jahren Haft. Högel wurde Anfang Juni vom Landgericht Oldenburg zu lebenslanger Haft verurteilt.
Die Anklage gehe davon aus, dass die Verantwortlichen spätestens ab Ende Oktober 2001 die von Högel ausgehende Gefahr erkannt hätten, hieß es. Zu diesem Zeitpunkt habe eine interne Liste vorgelegen, aus der ersichtlich gewesen sei, dass Högel weit häufiger bei Reanimationen mit Todesfolge dabei war als andere Pflegekräfte.
In der Folge sei es zu mehreren Besprechungen gekommen, bei denen auch das Einschalten der Strafverfolgungsbehörden thematisiert worden sei. Doch es sei entschieden worden, die Polizei nicht zu informieren. Laut der Anklage waren die Angeschuldigten "aus Sorge um ihre persönliche Reputation, die Reputation der kardiochirurgischen Intensivstation und des Klinikums Oldenburg insgesamt" untätig geblieben.
Stattdessen sei Högel aufgrund des Verdachtes auf die Anästhesie-Station versetzt worden. Auch dort sei er auffällig geworden. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft habe der Chefarzt der Station spätestens von diesem Zeitpunkt an ebenfalls die von dem Pfleger ausgehende Gefahr erkannt. Die Pflegedirektorin und der Geschäftsführer hätten dafür gesorgt, dass Högel bei laufenden Bezügen für drei Monate freigestellt wurde und schließlich das Klinikum mit einem guten Zeugnis verlassen konnte.
Die Anklage wirft den Angeschuldigten vor, mit dem falschen Zeugnis die von Högel ausgehende tödliche Gefahr für Patienten verschleiert zu haben. So habe der Ex-Krankenpfleger eine neue Anstellung am Krankenhaus Delmenhorst bekommen können, wo er weiter mordete. Darum seien diese drei Angeschuldigten auch für die 60 Morde und Mordversuche in Delmenhorst in der Zeit vom Dezember 2002 bis Juni 2005 verantwortlich.
Nun muss das Oldenburger Landgericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden. Dies dürfte jedoch noch dauern: Sowohl Högel als auch ein Nebenkläger haben gegen das Mordurteil vom Juni Revision vor dem Bundesgerichtshof beantragt. Bis zum Abschluss dieses Verfahrens ist das Urteil gegen Högel nicht rechtskräftig. Doch ohne das rechtskräftige Urteil wäre Högel als Zeuge gegen seine Vorgesetzten wertlos. Er könnte seine Aussage verweigern, um sich nicht selbst weiter zu belasten. Mit einem Urteil steht ihm dieses Recht nicht zu.
Niels Högel hatte zwischen 2000 und 2005 in Kliniken in Oldenburg und Delmenhorst mindestens 85 Patienten ermordet. In weiteren 15 Fällen wurde er aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Laut Feststellung des Gerichts vergiftete er seine Patienten mit Medikamenten, die zum Herzstillstand führten, um sie anschließend reanimieren zu können. So wollte er vor Kollegen als kompetenter Retter glänzen. Wegen sechs weiterer Taten war er bereits in früheren Prozessen verurteilt worden.