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TV-Tipp: "Nachts baden " (ARD)
25.9., ARD, 20.15 Uhr
Einfach mal angenommen, ein Sender möchte einen Film über eine Rocksängerin drehen, deren große Zeit schon länger zurückliegt, und sucht nun eine Hauptdarstellerin. Die Schauspielerin müsste um die fünfzig sein und soll glaubwürdig eine Frau verkörpern, der einerseits dreißig Jahre Sex & Drugs & Rock’n’Roll anzusehen sind, die andererseits aber immer noch attraktiv ist. Charisma braucht sie natürlich auch. Und weil sie beim letzten Auftritt einen Textaussetzer hatte und die aktuelle Tournee mangels Nachfrage abgesagt worden ist, nagen hässliche Selbstzweifel an ihr. Wer könnte so eine Rolle spielen?

In ihrer Not wendet sich die Redaktion an einen sogenannten Casting Director. Das sind Menschen (meist Frauen), denen angesichts einer Rollenbeschreibung im Optimalfall auf Anhieb die passende Besetzung einfällt; und falls nicht, schauen sie einfach in ihrer sicherlich umfangreichen Datenbank nach. Dort findet sich unter dem Schlagwort "alternder Rockstar, weiblich" – Maria Furtwängler? Eher nicht. Womöglich war auch alles ganz anders: Die Schauspielerin hat dem Fernsehspielchef des NDR, für den sie auch den "Tatort" aus Niedersachsen dreht, im Rahmen eines formlosen Geplauders mitgeteilt, dass ihr schon länger ein Mutter/Tochter-Drama vorschwebt; außerdem wollte sie schon immer mal gern eine Rocksängerin spielen. Auf Mallorca habe sie auch noch nie gedreht.

Die Geschichte, die sich aus diesen Komponenten zusammensetzt, wird zwar aus Sicht der Tochter erzählt, aber alles andere passt: Studentin Jenny (Tijan Marei) ist in so ziemlich jeder Hinsicht das Gegenteil ihrer Mutter. Bei Gegenwind drohen umgehend Panikattacken. Ihre Lieblingsbeschäftigung ist das Erstellen von Listen, zum Beispiel über "Dinge, die ich wirklich nicht brauchen kann" ("eine Mutter, die immer nur stresst, weil sich alles um sie dreht"). Kontakt zu ihrer Mutter Pola (Furtwängler) hat sie nur noch sporadisch. Mit zwölf ist sie freiwillig in ein Internat gezogen, weil Pola dauernd auf Tour war; der Vater (Harald Schrott) hatte längst eine neue Familie und offenbar ohnehin kein gesteigertes Interesse an seiner Tochter, wie eine kurze Begegnung verdeutlicht. Um sich auf den Bachelor vorzubereiten, fliegt Jenny mit ihrem Kommilitonen Kasimir (Jonathan Berlin) nach Mallorca, wo Pola ein großzügiges Anwesen besitzt. Die Mutter ist jedoch keineswegs auf Tour, wie sie glaubt, denn die ist ja abgesagt, und nun bietet sich den beiden unverhofft die Gelegenheit, sich endlich mal miteinander auszusprechen; das ist aber gar nicht so einfach, weil Pola Probleme am liebsten wegtrinkt. Dass Kasimir in Jenny verliebt ist, macht die Sache nicht leichter; und dann lässt sich die eigentlich scheue junge Frau auch noch auf Polas Manager und Ex-Freund Butzke (Karsten Antonio Mielke) ein.

Der Stoff ließe sich gleichermaßen als Drama wie auch als Sommerfilm im Stil französischer Provence-Komödien erzählen, und das sind eigentlich gute Voraussetzungen. "Nachts baden" – Regisseurin Ariane Zeller hat das Drehbuch gemeinsam mit Ehemann Frank geschrieben – ist aber weder das eine noch das andere. Vermutlich schwebte den Zellers eine Tragikomödie vor, schließlich ist zumindest Pola kräftig überzeichnet, und der Kontrast zwischen Mutter und Tochter könnte in der Tat kaum größer sein. Da die Umsetzung jedoch ernsthafter ausgefallen ist als von der Regisseurin womöglich beabsichtigt, wirkt Pola wie ein grotesker Fremdkörper: Als habe sich ein Bajazzo in eine hochdramatische Tragödie verirrt.

Maria Furtwängler wird als fünfzigjähriger Teenager ohnehin für viele Zuschauer gewöhnungsbedürftig sein, und das keineswegs bloß, weil die meisten sie als stets kontrollierte kühle Kommissarin kennen. Wie groß auch immer ihr Einfluss auf die Gestaltung der Rolle gewesen sein mag: Es klingt wenig glaubwürdig, wie Pola, Lieblingsadjektiv "fucking", ihre Sätze ständig mit Anglizismen durchsetzt ("es schmeckt delicious"). Natürlich soll das die Figur auf gewisse Weise diskreditieren, zumal sich Pola auch ganz normal ausdrücken kann, wenn sie mit ihrer Tochter ernste Themen bespricht, aber der Sprachgebrauch klingt eben nicht, als würde sie schon seit dreißig Jahren so reden. Ansonsten ist die "Forever young"-Attitüde vor allem eine Frage des sehr überzeugenden Kostümbilds (Bettina Helmi).

Im Vergleich zu Pola muss Jenny fast zwangsläufig spießig wirken, und natürlich ist die Diskrepanz reizvoll: hier die flippige Mutter, dort eine komplett unentspannte Tochter voller Versagensängste, auf deren Laptop sich unter anderem eine Liste "der schönsten Selbstmordmethoden" befindet. Entsprechend harsch fällt Jennys Reaktion aus, als ausgerechnet die "planlos in der Pampa" lebende Pola ihr Ratschläge geben will. Dass Jenny die Nacht mit Butzke verbringt, kommt daher etwas überraschend und dient dramaturgisch vor allem als Spiegel für Pola, die sich ihrerseits an Kasimir ranmacht. Der unglücklich verliebte junge Mann, in dem Jenny nur einen guten Kumpel sieht, ist im Grunde die einzig normale Figur in diesem Reigen.

Dass Maria Furtwängler den Anstoß zu diesem Film gegeben hat, ist übrigens nicht überliefert, wohl aber, dass sie schon immer mal in einem Film singen wollte. Das tut sie gegen Ende auch, und zwar gar nicht mal schlecht. Beeindruckend ist auch die Leistung von Tijan Marei, die schon in der Degeto-Komödie "Maria, Argentinien und die Sache mit den Weißwürsten" sehr positiv aufgefallen ist und diesen Eindruck  als Titeldarstellerin der witzigen Tragikomödie "Ellas Baby" (beides Freitagsfilme im "Ersten") mehr als bestätigt hat. Gleiches gilt für Jonathan Berlin, der schon als zentrale Figur in "Kruso" beeindruckend war. Ariane Zeller hat zuletzt das sehenswerte Zwei-Personen-Stück "Zwei" (2017) gedreht, ein Drama mit Hans Löw und Katharina Marie Schubert als einstiges Teenager-Paar, das sich nach zwanzig Jahren wieder begegnet.