Wie ist es zur Partnerschaft zwischen dem Evangelisch-Lutherischen Dekanat Bad Tölz und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL) gekommen?
Lucas Horn: Ende der 1990er Jahre wurde das Dekanat Bad Tölz nach einer Gebietsreform in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern neu gegründet. Es ist üblich, dass Kirchen, Dekanate oder einzelne Kirchengemeinden Partnerschaften mit anderen Kirchen und Gemeinden im Ausland unterhalten. Bei uns gab es einen persönlichen Kontakt mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL). Daraufhin hat das neu gegründete Dekanat Bad Tölz organisiert, dass sich jede unserer Gemeinden mit einer Gemeinde dort verpartnert und so auch eine Partnerschaft zwischen unserem Dekanat und der ELCJHL besteht.
Seit den frühen 2000er Jahren besteht diese Partnerschaft, allerdings zuerst nur als Erwachsenenbegegnung. 2007 gab es auf Initiative unseres damaligen Jugendpfarrers Karsten Schaller zum ersten Mal eine Jugendbegegnung im Land dort und 2008 eine Rückbegegnung hier in Deutschland. Und seitdem entwickelt sich das Projekt immer weiter.
Sie sind bereits seit vielen Jahren beteiligt: Was gefällt Ihnen an den Begegnungen besonders?
Horn: Allgemein gefällt mir, dass sie mir ein Bewusstsein dafür gegeben haben, dass Christentum etwas Internationales ist und sich nicht irgendwie auf Europa oder Deutschland beschränkt. Speziell an unseren Palästina-Begegnungen gefällt mir, dass ich dadurch einen direkten Einblick in den Nahost-Konflikt bekomme. Der Konflikt ist wichtig als Hintergrund für die Jugendbegegnung, aber wir reden auch nicht jeden Tag darüber.
Ich erlebe, dass ich in den Medien ein anderes Bild vermittelt bekomme. Es gibt hier sowohl sehr viel pro-palästinensische Berichterstattung als auch pro-israelische Berichterstattung. Da ist es sehr wertvoll, von unseren Partner*innen, die vor Ort leben, zu hören, was Sache ist – auch wenn die natürlich nur von den Ausschnitten berichten können, die ihre Lebenswirklichkeit betreffen.
"Der Kontakt zwischen den Jugendlichen ist sehr stark"
Ich war jetzt schon mehrfach im Heiligen Land, und das ist jedes Mal ein bisschen anders. Zuerst ist es mal ein wahnsinnig schönes Land, also die Landschaft an sich hat einfach eine besondere Wirkung. Dann sind die Gesellschaften auf israelischer und palästinensischer Seite sehr vielfältig – das ist sehr eindrucksvoll, dem zu begegnen. Zuletzt bleibt immer als Eindruck hängen, dass man den Konflikt im Land sehr stark wahrnimmt: Wenn sich die Mauer durch die Landschaft zieht, auf den Hügeln die Siedlungen zu sehen sind und man immer wieder auf Militär-Basen stößt. Es gibt einfach eine große Soldaten-Präsenz.
Was ist der Unterschied zwischen Ihrer Jugendbegegnung und einer "normalen" Studienreise?
Horn: Das ist ganz klar der Kontakt, den wir zu den Leuten haben. Innerhalb dieser fast zwei Wochen lernt man sich schon ganz gut kennen und viele Teilnehmer*innen sind mehrere Jahre hintereinander dabei. Wir machen auch immer einen Familien-Tag, also die Jugendlichen sind mindestens eine Nacht in den Gastfamilien. Da wird der Kontakt einfach sehr stark – das könnte man bei einer Studienreise, wo man doch eher oberflächlich auf das Land schaut, nie erreichen.
Welche besonderen Herausforderungen gibt es in der Organisation?
Horn: Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass es eine interkulturelle Begegnung ist. Wir wollen also den interkulturellen Austausch fördern, und das muss auch in der Organisation vorher einbezogen werden.
"Der Nahost-Konflikt ist untrennbar mit dem Holocaust verbunden"
Wenn es eine Begegnung im Land dort ist, müssen wir außerdem den deutschen Familien die Sorge vor dem Land nehmen. Das verbreitete Bild von Palästinensern ist eben das von gewalttätigen oder islamistischen Menschen, aber das trifft natürlich nicht auf unsere Partnerfamilien zu. Insgesamt ist das Reisen im Land relativ sicher, würde ich sagen. Aber auch, wenn die Palästinenser uns hier in Deutschland besuchen, geht es um den Abbau von Vorurteilen.
Eine andere Herausforderung bei der Durchführung der Jugendbegegnung hier in Deutschland ist außerdem die Unsicherheit bei der Visavergabe. Die Regelungen sind nicht so klar, sowohl bei der Ausreise-Genehmigung von israelischer Seite als auch bei der Einreise-Genehmigung von deutscher Seite. Gerade dieses Jahr hatten wir wieder den Fall, dass ein Jugendlicher erst zwei Tage später einreisen durfte und deshalb nachkommen musste. Wir mussten ihn dann gesondert abholen und auch für eine Begleitung auf dem Flug sorgen, weil er noch minderjährig war.
Erst dieses Jahr war wieder eine Gruppe von jungen Palästinenser*innen in Deutschland. Was stand auf dem Programm?
Horn: Wir hatten ein vielfältiges Programm: Zunächst auch das, was man von anderen Freizeiten so kennt – die Gruppe sollte sich besser kennenlernen, wir waren am Badesee und haben eine Floß-Bau-Aktion gestartet. Wir waren aber auch in der KZ-Gedenkstätte Dachau und hatten ein Zeitzeugengespräch mit einem Holocaust-Überlebenden. Der Nahost-Konflikt ist untrennbar mit dem Holocaust verbunden, deshalb ist auch das immer Thema bei unseren Begegnungen.
"Unsere Evangelische Jugend ist sehr politisch"
Als Highlight gab es dieses Jahr eine zweitägige Kunstaktion, die eine ehemalige Leiterin der Jugendbegegnung und Ehrenamtliche aus unserem Dekanat organisiert hat. Es ging um die Frage "Wofür stehe ich ein?" - angelehnt an die Bewegung "Fridays for Future", die ja gerade deutsche Jugendliche zur Zeit sehr beschäftigt. Es gab sowohl eine interne Ausstellung als auch eine Straßen-Aktion, bei der die Jugendlichen Protest-Schilder gestaltet haben und damit an öffentliche Orte in Gauting gegangen sind, um mit den Bewohner*innen ins Gespräch zu kommen. Die Themen waren sehr gemischt: von Klimagerechtigkeit und Gerechtigkeit allgemein über Arbeitslosigkeit und die Situation von Palästina.
Was bedeutet die Jugendbegegnung für die Evangelische Jugend im Dekanat Bad Tölz?
Horn: Die Begegnungen sind natürlich immer etwas Besonderes. Sie sind wohl auch ein Grund dafür, dass die Evangelische Jugend im Dekanat Bad Tölz eine sehr politische Evangelische Jugend ist. Das kommt dadurch, dass wir uns viel mit dem Nahost-Konflikt beschäftigt haben und wissen, was es heißt, sich mit unserer deutschen Geschichte im Nahost-Konflikt zu bewegen. In der Evangelischen Jugend ruft das eine starke Reflektion hervor. Auch die Frage nach Gerechtigkeit war uns immer sehr wichtig.
Unsere Dekanatsjugendkonvente, die zweimal im Jahr stattfinden, sind meistens zu politischen Themen, zum Beispiel Flucht, oder allgemein Jugend und Politik oder Klimagerechtigkeit. Viele aus unserer Evangelischen Jugend sind auch bei "Fridays for Future" aktiv.
Wie soll die Jugendbegegnung weitergehen? Ist für das nächste Jahr schon etwas geplant?
Horn: Eigentlich gibt es immer eine Hin-Begegnung, eine Rückbegegnung und dann ein Pausen-Jahr, wo es nur eine Studienreise gibt. Allerdings sind die Planungen für das nächste Jahr noch offen. Auf beiden Seiten gab es einen kleinen Generationen-Umbruch, so dass wir in Erwägung ziehen, direkt wieder eine Begegnung anzuschließen.