Im Nassauer Haus im Herzen von Nürnberg, direkt gegenüber der Lorenzkirche betreibt Reinhard K. Albrecht eine der letzten Traditionswerkstätten in Deutschland, in denen evangelischen Geistlichen ihre Amtstracht nach Maß auf den Leib geschneidert wird. Vier Stockwerke geht es nach oben, unter dem Dach des mittelalterlichen Wohnturms befindet sich eine Werkstatt wie aus einer anderen Zeit.
In dem hellen Arbeitsraum fallen offene Regale ins Auge, in denen dunkle Stoffe aufeinandergeschichtet sind, Kleiderständer und Schneiderpuppen, die Talare und Lutherröcke präsentieren und viele Zwirnspulen. Das Rattern der historisch anmutenden Nähmaschinen auf großen Holztischen erinnert an die Anfangstage der Schneiderei. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. In den letzten 40 Jahren haben Albrecht und seine Mitarbeiterinnen rund 4600 Talare geschneidert.
Um die 750 Euro kostet so ein edles Stück. Maßarbeit hat ihren Preis. Dafür erwirbt der Käufer ein Kleidungsstück fürs Leben. Der Ruf eilt Albrechts Werkstatt voraus. Sogar aus Toronto und Palästina kommen die Kunden. Die letzten Pröpste von Jerusalem wurden alle von ihm eingekleidet. Derzeit arbeitet er an einem Lutherrock für den neuen Bischof in Palästina.
Es sieht aus, als hätten die "9er-Jahre" einen besonderen Bezug zu Albrecht: 1949 wurde die Schneiderei von seinem Vater in Ottensoos gegründet, 1979 übernahm Albrecht die Talaranfertigung von Ernst Schmalzreich (Bayerische Talare seit 1922), 1989 zog er mit seiner Werkstatt ins Nassauer Haus und jetzt - 2019 - übergibt er seine moderne und traditionsreiche Schneiderwerkstatt an seine Nachfolgerin Andrea Junghanns. Bis zum Ende des Jahres soll der Generationenwechsel vollzogen sein.
Die Spezialisierung ist wichtig
Reinhard Albrecht hat die Herrenschneiderin ausgebildet, seit elf Jahren ist sie in seiner Werkstatt, arbeitet schnell und präzise. "Talare schneidern macht mir Spaß", sagt sie. Der Beruf bietet nur noch jenen eine Zukunft, die sich spezialisieren. "Ich habe insgesamt elf Lehrlinge durch die Prüfung gebracht", resümiert Albrecht wehmütig. "Aber die machen heute alle was anderes: Einige Frauen haben geheiratet und Kinder bekommen, andere arbeiten im Kloster, in einer Behindertenanstalt, wo Kleidung ein wenig hergerichtet wird, oder bei den Bühnen. Im Theater hat der Beruf noch eine Zukunft!"
Chancen gibt es nur noch in Nischen: "Es ist nur die Spezialisierung wichtig", bestätigt er, "alles andere funktioniert nicht mehr". Das sieht auch Andrea Junghanns so. Sie findet auch Haute Couture oder Tracht interessant, aber bei den Gewändern für die Pfarrer, Vikare und Bischöfe arbeitet sie für eine sichere Zielgruppe und das ist es, was heute zählt. Außerdem gefällt ihr die Arbeit mit den Stoffen. Nicht jeder kann mit Samt umgehen. "Der Samt hat Flor, und das schiebt beim Nähen", erklärt sie. "Da muss ich aufpassen, dass der Samt das macht, was ich will."
Um die Zukunft ist ihr nicht bange. "Pfarrer wird es immer geben, die Talare brauchen", ist sie überzeugt. "Dazu kommen die älteren Talare, die müssen ausgebessert werden und das macht nicht jeder." Sie will das Geschäft zunächst alleine weiterführen. Der Meister wohnt um die Ecke, wird sicher dann und wann vorbeischauen und ihr mit Rat und Tat beiseite stehen.