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TV-Tipp: "Tatort: Wofür es sich zu leben lohnt" (ARD)
30.8., ARD, 22 Uhr
Gerade die Kombination von Leichtigkeit und Tiefe macht den Reiz dieses Films aus, der zudem schon mit seinem Titel – "Wofür es sich zu leben lohnt" – signalisiert, dass die Geschichte kein Krimi wie jeder andere sein soll, selbst wenn sie mit der obligaten Leiche beginnt.

Die Behauptung, der SWR habe 14 Jahre gebraucht, um einen richtig guten Bodensee-"Tatort" zu produzieren, wäre nicht fair; es gab auch schon früher sehenswerte Krimis aus Konstanz. Die Mehrzahl der Filme war allerdings von einer meist spannungsfreien Beschaulichkeit. Immerhin hat die Redaktion Klara Blum (Eva Mattes) vor drei Jahren einen Abschied in Würde und mit Klasse beschert. Während der Sender vor und hinter der Kamera meist auf große Namen verzichtet hat, wurde für Klaras Kehraus Aelrun Goette verpflichtet; die dutzendfach ausgezeichnete Regisseurin steht dank intensiver Dramen wie "Unter dem Eis" oder "Keine Angst" für höchste Ansprüche. Das Drehbuch des letzten Falls für Blum, Perlmann (Sebastian Bezzel) und den Schweizer Kollegen Lüthi  (Roland Koch) hat Goette mit Sathyan Ramesh geschrieben, der sein Renommee gehobenen Romanzen und Komödien wie zuletzt "Süßer September" und "Matthiesen Töchter" verdankt.

Gerade die Kombination von Leichtigkeit und Tiefe macht den Reiz dieses Films aus, der zudem schon mit seinem Titel – "Wofür es sich zu leben lohnt" – signalisiert, dass die Geschichte kein Krimi wie jeder andere sein soll, selbst wenn sie mit der obligaten Leiche beginnt: Ein Mann liegt rituell aufgebahrt und umgeben von Fackeln sterbend in einem Kahn, über sich den Sternenhimmel; der Körper ist übersät mit Schnittwunden. Die Bilder des im Nebel über den See treibenden Bootes sind von ebenso betörender wie verstörender Schönheit. Auch die Einführung der Hauptfigur stellt die Zeichen auf Abschied: Klara Blum erfährt von einem Arzt, dass sie nach zwei Infarkten einen Herzmuskelriss hat und sich dringend schonen muss. Dafür ist aber erst mal keine Zeit, denn bei dem Toten im Kahn handelt es sich um den bekannten Rechtspopulisten Josef Krist (Thomas Loibl). Blum weint dem Mann zwar keine Träne nach, aber aufgeklärt werden muss der Fall natürlich trotzdem. Weil das Boot ans Schweizer Ufer getrieben ist, kommt nun auch Lüthi ins Spiel, der sich seinerseits mit der Ermordung eines betrügerischen Anlageberaters befassen muss. Blum wiederum erlebt eine Begegnung der besonderen Art: Bei der Suche nach einer Gärtnerei, von der sie sich Aufschluss über die seltsamen "Grabbeigaben" erhofft, trifft sie auf eine leicht bizarre Wohngemeinschaft. Verkörpert werden die drei mystisch angehauchten Frauen von den Schauspielerinnen Irm Herrmann, Hanna Schygulla und Margit Carstensen, die wie Eva Mattes vor vielen, vielen Jahren Mitglieder der Fassbinder-Familie waren; die vier müssen sich wie bei einem Klassentreffen gefühlt haben.

Bei anderer Besetzung und anderer Bedeutung wären die entsprechenden Szenen allerdings viel zu lang; in den Monologen der Damen, die wie die freundliche Variante der Hexen aus "Macbeth" wirken, geht es um alles Mögliche, bloß der Wahrheitsfindung dienen sie zunächst nicht. Blum aber fühlt sich sehr wohl in ihrer Mitte, zumal die Stimmung im Kreis ihrer Kollegen eher angespannt ist: Das Revier wird renoviert, weshalb man vor lauter Krach kaum sein eigenes Wort versteht. Außerdem ist Perlmann sauer, denn er wähnte die Chefin im Urlaub; bis er ihr in der Konstanzer Fußgängerzone über den Weg lief. In Momenten wie diesen entwickelt der Film eine sympathische Leichtigkeit; ein weiteres Merkmal, das den Konstanzer Krimis meist fehlte.

"Wofür es sich zu leben lohnt" ist ohnehin geprägt von dem erfolgreichen Bemühen, nicht nur einen anderen, sondern auch einen besonderen Bodenseefilm zu drehen. Dass sich die Region für außerordentliche schöne Bilder eignet, ist natürlich nichts Neues, aber Goette und Kamerafrau Cornelia Janssen sorgen neben den Kalenderaufnahmen von Wasser, Schilf und Himmel immer wieder für andere Blickwinkel, wenn sie beispielsweise die Fußgängerzone aus der vertikalen Vogelperspektive zeigen. Eindrucksvoll sind auch die Kameraflüge über die Stadt, die nicht nur als Kapiteltrenner fungieren: In diesen Intermezzi informiert der Film in Form akustischer Nachrichtenausschnitte über das unselige Wirken der beiden Toten und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich. Später reiht sich noch ein Dritter in den Reigen ein: Maximilian Heinrich (Matthias Habich) ist Besitzer eines Kette von Billigläden. Er lässt in Bangladesh produzieren, wo bei zwei Bränden Hunderte von Arbeitern ums Leben gekommen sind. Ähnlich wie der in Rückblenden vorgestellte Krist erscheint Heinrich jedoch keineswegs als Unhold, im Gegenteil. Bei einer scheinbar zufälligen Begegnung mit den drei Frauen darf er seinen Charme spielen lassen; später unterhält er behinderte Kinder mit einer Clownsnummer, und in Michael Steinbrechers "Nachtcafé" bekommt er die Gelegenheit, sein Geschäftsmodell zu verteidigen.

Obwohl der Film unterm Strich ein guter Abschluss für die Krimis aus Konstanz ist, hätte eine strengere Dramaturgie einige Dinge moniert. Das gilt vor allem für die verschiedenen Besuche Blums bei den drei Grazien, auch wenn die Kommissarin gerade von der Wortführerin (Schygulla) des Trios fasziniert ist. Ähnlich beeindruckt ist Perlmann von Anna Krist (Julia Jäger), der Witwe des reaktionären Rattenfängers. In einer ungewöhnlich langen Szene beobachtet er die Frau, die ein wildes Leben führte, bevor sie ihren Mann kennenlernte, beim ausgelassenen Trauertanz zu den Klängen des Sinéad-O’Connor-Songs "Troy". Die Musik (Boris Bojadzhiev), mal elektronisch, mal nur eine akustische Gitarre, spielt für die Wirkung des Films ohnehin eine wichtige Rolle. Sie verleiht vielen Szenen eine Atmosphäre, die gerade bei den mitunter ins Bühnenhafte ausufernden Dialogszenen mit den drei Frauen verhindern, dass der Erzählrhythmus zu stark gestört wird. Außerdem unterstreicht sie die Abschiedsstimmung, die den Film dank entsprechender Dialogzeilen Klara Blums durchweht. Auf diese Weise lässt Goette mit ihrer poetischen Parabel eine Wehmut entstehen, die durch den doppelten Schluss noch vertieft wird. Das letzte Bild ist ein Gag, der mit lakonischem Witz verdeutlicht: Klara Blum lebt hier nicht mehr.