Das Drehbuch stammt von Stefan Rogall, der für Leonard Lansink auch über "Wilsberg" hinaus schon sehenswerte Komödien geschrieben hat ("Nur nicht aufregen", "Der Stinkstiefel"). Die entsprechenden Geschichten waren allerdings im Grunde überhaupt nicht komisch. Das gilt auch für "Die fünfte Gewalt", und das ist womöglich der entscheidende Grund, warum die Reihe mit diesem Film wieder zu alter Stärke findet: Rogall erzählt einen Krimi; komische Momente ergeben sich, wenn überhaupt, eher nebenbei, und diese elegante Beiläufigkeit ist die Aufgabe des Regisseurs. Thurn, bekannt für "Event"-Filme wie "Die Schatzinsel", "Die Wanderhure" oder "Beate Uhse", war auch für Lansinks Jubiläums-"Wilsberg" verantwortlich; die ungewöhnlich actionreiche Folge "Mord und Beton", Lansinks fünfzigster Film, hat im Frühjahr 2016 eben jene Maßstäbe gesetzt, an denen Rensing gescheitert ist.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Die fünfte Gewalt" beginnt wie ein Thriller: Der mit Handschellen an einen Tisch gekettete Privatdetektiv aus Münster wird gezwungen, ein Glas Wodka runterzukippen und dann auf eine gefesselte Frau zu schießen. Er ballert das Magazin leer, dann wird er niedergeschlagen; und nun erzählt Rogall eine komplexe Geschichte, deren Umsetzung schon allein durch die raffinierte Rückblendenkonstruktion für große dramaturgische Spannung sorgt. Roter Faden des Films sind die Vernehmungen von Wilsbergs Freunden durch Kommissarin Springer (Rita Russek). Das ist als Idee selbstredend nicht neu, aber clever umgesetzt, zumal zunächst weder Ekki (Oliver Korittke) noch Alex (Ina Paule Klink) großartig viel zur Wahrheitsfindung beizutragen haben. Anders als zuletzt sind die beiden jedoch nicht irgendwie in die Handlung integriert, damit sie auch ein bisschen Spielmaterial bekommen, sondern echte Mitwirkende.
Der Titel "Die fünfte Gewalt" bezieht sich auf die als Ergänzung zum klassischen Journalismus etablierte Publizistik im Internet, allen voran Einrichtungen wie WikiLeaks. Alles beginnt in einem Restaurant: Wilsberg beobachtet einen Streit zwischen einem Mann und einer Frau. Als der Mann wutentbrannt geht, findet Wilsberg tröstende Worte für die Frau (Annika Kuhl), die kurz drauf auf der Toilette erwürgt wird. Selbstredend ist der Mann (Stephan Szasz) hochgradig verdächtig, und weil sich Wilsberg ein bisschen in die Unbekannte verliebt hat, will er nun ihren Mörder finden. Der Mann leitet eine Organisation, die Lobbyisten auf die Finger schaut; das Mordopfer war Journalistin und hat den Verein LobbyScan mit Informationen versorgt. Im Blickpunkt steht derzeit der Landtagsabgeordnete Benjamin Frehse (Harald Schrott), der sich dafür einsetzt, mit Steuergeldern einen von der Pleite bedrohten Klinikverbund und somit viele Arbeitsplätze im Münsterland zu retten. Unterstützt wird er dabei von einem Berater (Jan Henrik Stahlberg), der in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich ist; und nun geraten Wilsberg, Ekki und Alex in einen Strudel aus Intrigen, Kampagnen, Liebe, Hass und schließlich auch Gewalt, den sie nur mit viel Glück unbeschadet überstehen.
Während sich Rogalls Drehbuch durch eine clevere Dramaturgie auszeichnet, regelmäßig für Überraschungen sorgt und die wenigen komischen Einlagen aus der Handlung heraus entstehen lässt, hat Thurn gemeinsam mit Kameramann Uwe Schäfer für eine angemessene Umsetzung gesorgt. Er konnte es sich sogar leisten, auf übliche Spannungsverstärker wie Thrillermusik oder hohe Schnittfrequenz zu verzichten. Mit Ausnahme des Cliffhanger-Auftakts, der 75 Minuten später wieder aufgegriffen wird, und einer Szene, in der sich ein scheinbarer Mörder als unfreiwilliger Kugelfang entpuppt, gibt es auch kaum Nervenkitzel. Trotzdem ist "Die fünfte Gewalt" ohne Unterbrechung fesselnd und nicht zuletzt dank der geschickten Übergänge auch handwerklich von hohem Niveau, obwohl nur wenige Einstellungen optisch auffällig sind. Dazu zählen unter anderem die Vernehmungsszenen, bei denen die Gesichter und der Tisch in gleißendes Licht getaucht sind, während der Rest des Bildes schwarz ist. Dieser Kontrast findet sich im weitgehend in Weiß gehaltenen Haus des schwarz gekleideten PR-Beraters wieder, der Alex als seine Anwältin auf die dunkle Seite locken will. Er hält ihr einen Vortrag über die heutige Welt, die für Kategorien wie richtig oder falsch (man könnte auch sagen: schwarz oder weiß) viel zu komplex sei. Später wird er feststellen, dass Wahrheit ein Konstrukt sei, und eigenhändig für immer wieder neue Wahrheiten sorgen; Jan Henrik Stahlberg ist genau die richtige Besetzung für diese charismatische und gar nicht mal unsympathische Figur.
Für die Fans der Reihe bekommt Roland Jankowsky als nimmermüder Overbeck wieder einen seiner typischen und stets würdevoll verkörperten Chuck-Norris-Auftritte, und den obligaten Bielefeld-Gag liefert diesmal Birge Schade. Sie spielt die Frau des LobbyScan-Gründers, die ein Verhältnis mit Ekki beginnt und schließlich auch offenbart, warum ihr Mann irgendwann zum Intimfeind des Abgeordneten geworden ist; ein weiteres verblüffendes Detail in dieser an unerwarteten Wendungen reichen Geschichte, die damit endet, dass sowohl Ekki als auch Alex schließlich ohne Job da stehen. Es wäre ausgesprochen schade, wenn die Reihe kein Kapital aus den beiden Kündigungen und der daraus entstehenden neuen Konstellation schlüge.