Berlin (epd). In Deutschland werden immer noch zu wenige Kinder geimpft. Die Impflücken sind laut Barmer Krankenkasse zudem offenbar größer als bekannt. Dem am Donnerstag in Berlin veröffentlichten aktuellen Barmer-Arzneimittelreport zufolge waren 2017 nur 88,8 Prozent der sechsjährigen Kinder ausreichend gegen Masern geimpft. Bei Zweijährigen war der Schutz noch geringer (80 Prozent). Hochgerechnet fehlte 2017 damit bundesweit 166.000 Zweijährigen der Masernschutz. Rund drei Prozent der Kleinkinder hatten keine der 13 Impfungen erhalten, die die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt. Das entspreche 26.000 ungeimpften Mädchen und Jungen, so der Report.
Die von der Barmer errechneten Impfquoten basieren auf der Auswertung von Versicherten-Daten. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gibt demgegenüber für 2017 an, dass 92,8 Prozent der Kinder vor der Einschulung vollständig gegen Masern geimpft waren. Den Unterschied erklären beide Seiten damit, dass die Impfquoten, die im Auftrag des RKI ermittelt werden, bei den Schuleingangsuntersuchungen anhand der Impfausweise erhoben werden. Der Impfstatus von Kindern, die keinen Ausweis vorlegen, wird nicht berücksichtigt.
Das RKI weist in seinen Veröffentlichungen selbst auf die "potenzielle Überschätzung der Impfquoten" hin. Eine Sprecherin sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), würde man alle Kinder ohne Impfpass als ungeimpft ansehen, läge die Quote für die vollständige Masernimpfung bei sechsjährigen Kindern mit 81,4 Prozent sogar unter den Ergebnissen der Barmer-Studie. Die Auswertungen des RKI und der Barmer bezögen sich auf unterschiedliche Datenquellen und seien mit unterschiedlichen Methoden erstellt worden, kämen aber zu ähnlichen Schlussfolgerungen, "dass es bei Kindern in Deutschland noch große Impflücken gibt", sagte die Sprecherin.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte, "egal, wie man es rechnet, es bleibt dabei: Zu viele Kinder in Deutschland sind unnötig gefährdet, denn zu wenige Kinder sind gegen Masern geimpft." Daher werde die Koalition eine Impfpflicht einführen. Die Krankenkassen könnten durch Info-Kampagnen und Kooperation mit den Schulen helfen, die Impfquoten zu erhöhen.
Zum Schutz der gesamten Bevölkerung müssen mindestens 95 Prozent der Kinder und Erwachsenen gegen Masern immunisiert sein. Die Debatte um die Masernimpfung war in diesem Frühjahr anlässlich von Warnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wieder aufgeflammt. Weltweit starben nach Angaben der WHO allein 2017 rund 110.000 Menschen an Masern, überwiegend Säuglinge.
Das Bundeskabinett hat Mitte Juli einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gebilligt, wonach Kinder vor dem Besuch einer Kita und der Einschulung ab März 2020 einen vollständigen Masern-Impfschutz nachweisen müssen. Die Impfpflicht soll auch für Lehrer und Betreuer gelten. Der Bundestag muss dem Gesetz noch zustimmen.
Der Vorstands-Chef der Barmer, Christoph Straub, befürwortete Spahns Initiative. Er finde es richtig, dass die Masernimpfung nachgewiesen werden müsse, sagte er. Es gehe nicht nur um den Schutz des eigenen Kindes, sondern auch um den der anderen. Impfungen gehörten zu den "sichersten medizinischen Eingriffen", sagte Straub. Um die Quoten zu erhöhen, sei indes mehr nötig als die Verpflichtung zur Masernimpfung. Die Barmer setze auf Informationen und Programme, mit denen die Versicherten daran erinnert werden, ihren Impfschutz zu vervollständigen.
Dem Barmer-Report zufolge sind die Masern-Impfquoten in den südlichen Bundesländern am niedrigsten. Bei keiner der 13 wichtigsten Infektionskrankheiten werde bei den Sechsjährigen ein Durchimpfungsgrad von 90 Prozent erreicht, was Straub als "alarmierend" bezeichnete. Nach der Einschulung werden praktisch keine Impfungen mehr nachgeholt, obwohl dies möglich ist.